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Spielerisch lernen - Spielen im Unterricht - Teil 1

In der Vergangenheit habe ich mich in verschiedenen Kontexten mit dem Thema auseinandergesetzt, aber der gemeinsame Nenner war die Idee des digitalen Spielens in einer Kultur der Digitalität, mit der Doppelbedeutung "spielerischen Lernen und Spielen im Unterricht". Nach meinen Erfahrungen auf der re:publica 2019 habe ich im Anschluss an Bröcker und mit konzeptioneller Unterstützung von Wampfler über das Lernen in und mit einem MMORPG (Massive Multiplayer Online Role-Playing Game, es handelte sich um EVE Online) geschrieben.

Der Mensch spielt - immer aus dem Zentrum seines Lebens heraus, auch wenn er sich dabei versteckt und in hundert Masken verlarvt. Als eine eruptive Lebensmacht durchwaltet das Spiel das menschliche Sein und lässt sich nicht auf einen einsinnigen, zielbezogenen Lebensvollzug festlegen. Es gibt kem Werk, bei welchem das Spielen ankommt und endet. Sein Vorgang selbst ist sein Werk, es geschieht spontan und hört auf, ist eine Handlung, die um ihrer selbst willen geschieht.

Eugen Fink (2010): Die Weltbedeutung des Spiels

 

Wie beginnt eigentlich ein Spiel in der Gegenwart? Lesen die Gamer "Manuals", also Spielanleitungen, merken sich zu jeder Tastatur-Taste eine ausführbare Aktion? Letzteres schon, jedoch kommen die Gamer auf eine andere Art und Weise an die Kenntnisse, sie lernen anders. Wampfler hat sich genau angeschaut, wie das heute funktioniert. Der Onboarding-Prozess "ist die Phase eines Spiels, in der erklärt wird, wie das Spiel funktioniert, wie es bedient wird, was Erfolgskriterien sind" (Wampfler, 2020). Dabei fällt auf, dass das Lernen a) in das Spiel integriert ist und b) damit selbst Spiel geworden ist: "Ein Spiel beginnt das Onboarding mit einer Spielsituation, in der Novizinnen und Novizen bereits handeln können. Sie probieren in einem didaktisch reduzierten Setting aus, wie das Spiel funktioniert. Dabei wird eine kleine Geschichte erzählt, sie erhalten bereits Figuren oder Spielelemente, mit denen sie ihre Spielidentität und -Narration verbinden können" (Wampfler 2020). (Das Onboarding ist eines vor vier Elementen des Einstiegsprozesses in Games: Discovery-Onboarding-Scaffolding-Endgames (vgl. Wampfler 2019, 37:46 min)).

Die Pointe von Wampfler, der das Onboarding auf die Schule und den Unterricht überträgt, ist die Folgende: "Es ist, als würden Schulen am ersten Schultag einfach mit einer Schulstunde beginnen, die Spaß und Lust auf mehr macht, statt zu erklären, wie Schule funktioniert, Hefte und Bücher auszuteilen, ein Konzert und Ansprachen abzuhalten". (ebd.).

 

Zu Beginn der Corona-Pandemie entwickelte sich im Anschluss an einen YouTube-Aufruf weltweit eine Community, die mit Minecraft die Welt digital nachbauen wollte. Die regionalen bzw. länderspezifischen Sektionen begannen damit, sich via Discord zusammenzuschalten und zu strukturieren. In Deutschland entstand sodann BTE G = Build the Earth Germany. Ich habe aufgezeigt, was und wie die meist jungen Oberstufenschüler:innen und Studierenden in diesem Zusammenhang lernten. Sie brachten ihr Projekt auf die Server und begannen, Deutschland 1:1 im Quaderstil (1x1 Meter) nachzubauen. (BTE Germany wird heute als eingetragener Verein fortgeführt).

Ein Schloss ist Minecraft. Bild von Pixabay.com (Marc Stevens)

 

 

Mit Beginn der Schulschließungen merkten digital affine Jugendliche, dass ihre - oft noch als "nerdiges" Wissen / Können als Nischenthema verkannten - Kompetenzen, die sie sich am heimischen PC und vernetzt mit der Welt zumeist selbst beigebracht hatten, plötzlich ein gefragtes "modernes" Thema und das Querschnittthema beim Lernen überhaupt wurde. […] Die Community BTE funktioniert - von außen beobachtet - nicht deshalb, weil es keine Beurteilung gibt, sondern weil Lernen und Beurteilung auf der gleichen Ebene funktionieren, d.h. nachdem ein Projekt realisiert wurde, ein Straßenzug, ein Stadtteil oder auch nur ein Stadion, muss niemand mit Papier und Stift, isoliert (also auch ohne Netz) handschriftlich festhalten, was genau er oder sie sich dabei gedacht hat. Stattdessen geht es um Diskurs und Anerkennung im eigenen Netz und sodann in den sozialen Netzen. Der Aufbau einer Community, das Akquirieren von Spielern, das Verfügbarmachen von Serverkapazitäten, Rollendiversität, die Gewinnung von Unterstützer:innen und finanziellen Ressourcen, die Präsenzentwicklung in den sozialen Medien: all das, was - verkürzt - als 4K oder Skills des 21. Jahrhunderts bekannt war, das Schule nur mühsam auf den Weg bringen konnte (und von den Prüfungsformaten jeweils unterlaufen wurde und wird), konnte plötzlich gelebt werden. Außerhalb der Schule entstand eine wirkliche, eine echte Schule des Lebens, in der man das lernen konnte, was im Leben der 20-er Jahre des 21. Jahrhunderts wirklich gebraucht wird. In einem Satz: Lernen und Leben wurden im Projekt wieder vereint. […] Was genau das vor dem Hintergrund der "Vier Dimensionen des Lernens" oder auch des OECD-Lernkompass' (siehe Visualisierung unten) heißt, führe ich einmal hier an: Das Projekt integriert (und das heißt so viel wie „ohne diese würde es nicht funktionieren“) aus dem Bereich des traditionellen Wissens besonders Mathematik, Naturwissenschaften, Fremdsprachen, Sozialwissenschaften und Kunst. Es integriert zugleich alle Aspekte des „Modernen Wissens“ (vgl. oben die Auflistung der Learnings: Technologie und Ingenieurwesen, Medien, Entrepreneurship und Wirtschaft, Persönliche (und kollektive) Finanzen, Wohlergeben und soziale Systeme. Darüber hinaus entwickeln sich viele Querschnittthemen, wie Informationskompetenz, Umweltbewusstsein, Systemdenken und gewissermaßen auch Design Thinking. Die 4K sind offensichtlich integriert. Dazu gesellen sich Charakter-Eigenschaften (wir sagen im Deutschen "Haltung(en)"), ohne die das Projekt nicht vorankommen und nicht zusammenhalten könnte: Neugier, Mut, Resilienz, Leadership. Und all diese Kompetenzen werden reflektiert und fortentwickelt, indem diese vom Meta-Lernen begleitet werden. Klar, mein Artikel muss mit dem Satz [...] enden: Die Schulen müssen mehr BTE-Germany wagen!

Im September 2022 besuchte ich das NRW-Forum der kommunalen Medienzentren. Das 22er-Forum stand vollständig unter der Idee von Lernen im Spiel. Eingeladen wurde mit dem Titel „Wie digitale Spiele den Fachunterricht bereichern können“. Der spätere Pressetext zitiert die Forschungsrichtung, die der Keynote-Sprecher, Prof. Boelmann, auch durch Feldforschung in NRW betreiben konnte. Denn unter dem programmatischen Titel „Games machen Schule“ waren zu dem Zeitpunkt bereits einige Schulen unterwegs. Ich werde einige wichtige Aspekte auch aus der Keynote zitieren.

Jetzt schreiben wir 2024: Ein Projektteam am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI) um Informatikprofessor Carsten Gips hat in zwei Projektphasen über gut zwei Jahre mit Informatik-Studierenden ein Tool zur Gamifizierung in der Lehre entwickelt. Das Ergebnis ist das „2D-Rogue-like“-Rollenspiel Dungeon, zu Deutsch: Verlies. Das Spiel verfolgt zwei Ansätze: „Learning by Questing“ und „Self-Paced-Learning“. Die didaktischen Prinzipien lassen sich auf andere Domänen übertragen. Gips informiert über die zwei relevanten Ebenen, die das Spiel auszeichnen: „Zum einen liegt für Informatik-Studierende die Hauptaufgabe im Programmieren eigener Spielinhalte auf Basis des Dungeon-Frameworks.“ Die Studierenden können so schrittweise über das Semester hinweg ein eigenes Spiel programmieren. Weitere wichtige Ziele sind die Steigerung der Motivation und die Förderung des selbständigen Lernens. Das Ganze nennt sich „Game-based Learning“, also Lernen während man spielt". Das Framework für das Spiel ist auf GitHub zugänglich und als Open Educational Resource (OER) veröffentlicht. Das heißt, es kann genutzt und auch weiterentwickelt werden.

Die vorletzte Passage zeigt, dass Motivation ein wichtiger Punkt ist. Es ist offensichtlich, dass das Programmieren eines Spiels dem Muster folgt, ein echtes Problem in eine echte Lösung zu überführen. Die Beschreibung der Vorgehensweise erinnert mich an Wampflers „Onboarding“: Programmieren wird gelernt, indem zunächst mit reduzierter Komplexität – aber sofort – ins Programmieren eingestiegen wird. Und das Programmieren wird selbst zum Spiel. Die Studierenden sind mit Sicherheit intrinsisch motiviert, mehr als sonst. Sie wollen Informatiker werden und der Lernprozess besteht aus der Produktion echter Produkte, die sogar andere in neuen Kontexten weiterverwenden können.

Preisvorstellung von World of Classcraft (Screenshot von: https://www.classcraft.com/de/preise/)

Der erste Teil meiner Auseinandersetzung soll hier und jetzt mit einer deutlichen Problematisierung von „spielerisch lernen“ enden. Dazu werfe ich einen Blick auf Antolin, eine sogenannte Lesespiele-App. Diese fällt bei einer genaueren Betrachtung mit Pauken und Trompeten durch. Boelmann bringt es auf den Punkt: „Es ist nicht Sinn von Literatur, dafür Punkte zu bekommen“. Boelmann sortiert alle Programme aus, deren Belohnungssystem rein auf extrinsischer Motivation basiert. Dazu zählt er auch „World of Classcraft“. Allerdings fügt er eine Einschränkung ein: Das Programm kann für eine bestimmte Zielgruppe funktionieren, nämlich für die hoffnungslosen Fälle.

 

Im 2. Und 3. Teil  werde ich dann auf Basis der drei oben aufgeführten Hintergründe versuchen, 

  • meiner euphorischen Schilderungen via Bröcker, Wampfler und der Minecraft-/BTE Germany-Community,
  • der neuen Impulse, die auch die HSBI mit dem Programmierprojekt zur Verfügung stellt und
  • mit einer Problemorientierung, die Gamification und Game based learning kritisch analysieren will,

Wege zur Integration von gamifizieren Lernelementen und ganz konkret von Spielen im Unterricht zu erörtern.

Literatur:

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