ein Projektbeitrag von Inga Birr, Uta Henze und Michael Schöngarth
Im Jahr 2023 ist im Rahmen der Lehrer:innenbildung ein Projekt entstanden, das versucht, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der zweiten Ausbildungsphase zu verankern. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein rein philosophisches Projekt, so dass man meinen könnte, es sei nur für das Fachseminar Philosophie (oder Ethik) geeignet. Bei genauerem Hinsehen darf man jedoch feststellen, dass durch die Substitution (oder Ergänzung) aus anderen Wissenschaftsdomänen der Fachdiskurs leicht überwunden werden kann. Dies liegt u.a. daran, dass ein übergeordnetes Szenario - ein Konferenzspiel - die Materialien verbindet. Durch eine weitere Anpassung der Rollenkarten an die potentielle Lerngruppe kann das Konferenzspiel auch in der Schule und in der Lehrerfortbildung eingesetzt werden. Wir stellen das Szenario im Folgenden kurz dar.
1. Szenario Konferenzspiel
Das Szenario Konferenzspiel gibt der Auseinandersetzung mit BNE Struktur. Es zielt vornherein darauf ab, Aktivitäten an der jeweiligen Institution auszulösen und im Idealfall - als Konsequenz - in Arbeitskreisen die Verankerung von BNE nachhaltig zu gewährleisten.
In unserem Ausgangsszenarion sind die Lehramtanwärterinnen und Lehramtsanwärter die ausschlaggebenden Rollenträger. Sie finden sich auf einer landesweiten (Fach)-Konferenz Philosophie/Ethik wieder, auf der zu Klimakrise und Klimanotstand vier zentrale Fragen verhandelt werden:
- Welche inhaltlichen und methodischen Veränderungen sind nötig, um Bildung für nachhaltige Entwicklung für Schüler:innen umzusetzen und wie groß soll der Anteil der (Praktischen) Philosophie dabei sein?
- Gibt es eine Rechtfertigung für eine neue, eher aktivistische Ausbildung oder ist und bleibt – bei aller Handlungsorientierung – die Orientierung im Denken erstes Gestaltungsgebot von Unterricht?
- Erfordert eine kollektive Anstrengung – im Sinne des Pariser Klimaabkommens, der 17 Ziele usw. – ein neues Mindset, neue Haltungen?
- Schließlich fragen Sie sich auch, was und wie Sie im ZfsL inhaltlich ausgebildet werden wollen und welche Spielräume Sie schon jetzt im Unterricht nutzen können.
Hier unten finden Sie die Darstellung der Situation (Rolle - Situation - Konflikte - Roadmap).
2. Die Rollen und deren "Hintergründe"
Den auf der Konferenz versammelten LAA werden gewisse, sagen wir aus vorgängiger Sozialisation stammene Interessen zugewiesen. Sie sind also bereits alle irgendwie politische Menschen. Das Szenario versucht dieses Grundverständnis nochmals auszuschärfen. So gibt es in unserem Szenario die Rollenkarten "Blogger:in", "Aktivist:in", "(besonders) Politischer Mensch", "Studierzimmer-Mensch", "neophiler Mensch", "didaktischer Mensch", "kontemplativer Mensch", "didaktischer Mensch", "pragmatisch-radikaler Mensch" und "antiideologischer Mensch". Diesen Rollenzuschreibungen sind konkrete philosophische und manchmal politische Positionen hinterlegt. Die Verbindung zwischen Rolle und philosophischem Hintergrund obliegt der Deutung der Rollenspieler. Die Zuschreibungen sind manchmal humorvoll gemeint, mal als Identifikation mit dem Vorbild und ein anderes Mal als alles andere als eindeutig oder stringent zu verstehen, wenn man Rolle und Hintergrund in Beziehung setzt. Dieses Konstrukt kann als unser Suchen und Finden im Klimadiskurs interpretiert werden. Die Auswahl der Texte unterstützt diese Deutung.
Hier unten finden Sie die Rollenbeschreibungen und die Arbeitsaufträge zum philosophischen Hintergrund.
3. Die verwendete Literatur (die Philosophen und Philosophin) (zugleich Literaturliste)
Wir verwenden Ausschnitte von Dieter Birnbacher mit den Schwerpunkten 'Problem der kleinen Beiträge (jedes Einzelnen)' und die Idee der gestuften Verantwortung. Aus Bernward Gesang verwenden wir Passagen zum Freiheitsproblem und stellen einige "Transformationsfallen" heraus. Zusätzlich nutzen wir Material von Philipp Thomas, der bereits eine transformative Praxis des Philosophierens etablieren möchte, sowie von der französischen Philosophin Corine Pelluchon, die das Zeitalter des Lebendigen ausruft.
Zusätzlich zu den klassischen Positionen, aus denen utilitaristische, aufklärerische und existenzialistische Positionen quasi 'im Dienste' des Klimadiskurses entnommen werden können, haben wir drei weitere Positionen ergänzt. Zunächst haben wir den 'Systemsturz' des Japaners Kohai Saito erwähnt, bei dem selbst die 17 Ziele der UN in Frage gestellt werden. Außerdem haben wir Thomas Metzinger hinzugezogen, um Orientierung jenseits eines reinen Optimismus zu gewinnen, in dem der Stand der erreichten Bewusstseinskultur den Fortgang der Menschheitsgeschichte bestimmt. Zuletzt haben wir Markus Tiedemann als Didaktiker hinzugefügt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass seine didaktische Position von uns lediglich in den Kontext hinein konstruiert wurde und somit keine authentische Position darstellt (vielleicht fragen wir ihn mal).
- Dieter Birnbacher (2020): Zukunftsverantwortung und Klimaethik, in: Miteilungen des Fachverbandes Philosophie 2020. Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen #56, S. 33-54.
- Bernward Gesang (2020): Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philosophie für die KlimadebaDe, München (Hansa-Verlag), 130 eBook, hier Pos. 353-449.
- Thomas Metzinger: Bewusstseinskultur. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise, Berlin Verlag: Berlin/München 2023, S.149-156.
- Corine Pelluchon (2021): Das Zeitalter des Lebendigen: Eine neue Philosophie der Au?lärung. KriCsch, radikal, visionär: Auf dem 130 Weg zu einer demokraCschen und ökologischen GesellschaM, Darmstadt.
- Kohei Saito: Systemsturz, dtv: München 2023, S.4-80.
- Philipp Thomas (2019): Philosophie als transforma8ve Praxis (PTP). Vom bildenden Potenzial der Philosophie, Transcript.
- Markus Tiedemann: „Mal mir was!“ - Ein Zwischenruf, in: ZDPE 2011/1, S.78-80.
4. Ablauf des Konferenzspiels
Unabhängig von der verfügbaren Zeit benötigt die Konferenz einen klaren Ablauf. Nach der Erstellung der Positionspapiere, die - wie oben erwähnt - aus der Identifikation oder dem Spannungsverhältnis von 'Hintergrund' und 'Rollen' entstehen, müssen mindestens drei Phasen gesichert sein: 1. Darstellung der Positionen, 2. Speed-Dating: Wer trifft sich mit wem? (Koalitionsbildung), 3. Aussprache und Perspektiven. Natürlich muss auch bei diesem dreiphasigen Durchgang eine Reflexion und Auswertung des Konferenzspiels gewährleistet werden. Wenn mehr als vier Stunden zur Verfügung stehen, kann Phase 3 ausdifferenziert werden. Diese fasst eigentlich mehrere Phasen zusammen und könnte sich wie folgt darstellen: 3. Aussprache in der Gesamtkonferenz mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Konferenzteilnehmer darzustellen, 4. Nachverhandlungen außerhalb der Konferenz zur Suche nach Kompromissen, 5. Aussprache der Gesamtkonferenz mit dem Ziel, Grundlagen für ein Abschlussdokument zu finden, 6. (in Kleingruppen): Formulierung eines Abschlussdokuments und gegebenenfalls Minderheitsvoten sowie Abhaltung der 7. Pressekonferenz durch die Konferenzleitung.
Am Ende dieser Langfassung, die vielleicht Vormittag und Nachmittag aufgeteilt war, finden sich höchstwahrscheinlich Ideen für kleine oder größere Veränderungen in der eigenen Institution und in der Ausbildung, die umgesetzt werden wollen. Idealerweise stehen dann ein zweiter Projekttag oder - in Schulen - die verbleibenden vier Tage der Projektwoche zur Verfügung, um möglichst konkrete Vorschläge zu erarbeiten.
5. Interesse?
Sollten Sie oder ihr durch die Darstellung Interesse gefunden haben, stellen wir die Materialien gerne zur Verfügung, in dem wir Ihnen / euch das Passwort zu einer Taskcards liefern können, die alle Materialien zur Verfügung stellt. Der Kontakt kann gerne hier über den Blog aufgenommen werden. Wir werden die Rollenkarten, die wir entwickelt haben, als OER-Materialien lizenzieren. Für die Verwendung der Texte gilt dann der übliche mit dem Urheberrecht. Wir freuen uns auf Ihre / eure Nachricht.