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Kritik am (SA)M(R)-Modell 2.0 - Teil 3/3

Das ist der dritte Teil eines ausführlichen Versuchs zu zeigen, dass die Orientierung am SAMR-Modell mehr Schaden anrichtet als Hilfestellung bietet.

Abbildung 1 - Bild von Gerd Altmann, Pixabay

Hier geht es zum Ausgangstext der Kritik (meine "Übersetzungsarbeit" der seit 2015 vorliegenden Standardkritik am Modell):

https://www.m-schoengarth.de/kritik-am-samr-modell/

 

Hier geht es zum ersten Teil der erweiterten Kritik:

https://www.m-schoengarth.de/kritik-samr-2-0/

 

Hier geht es zum zweiten Teil der erweiterten Kritik:

https://www.m-schoengarth.de/kritik-samr-2-teil/

 

Teil 3/3

          7. Ahistorisch und kulturlos

 

Die Bebilderung des Modells war schon immer ein Problem (siehe oben und Schöngarth 2020, jetzt 2022a). Die berühmte Sketchnote ist über die Intention von Puentedura hinausgegangen und hat eine „No Tech“-Ära eingepreist (vgl. Brüggemann 2016). Nimmt man auch noch die Überschrift der Sketchnote hinzu („Das SAMR Modell zur Integration von Lerntechnologie“), dann müssen wir zunächst einräumen, dass (S)AMR kein Modell über kulturellen Wandel oder philosophischer Medienbegriffe sein will. Dabei ist die Sketchnote Teil des Problems und nicht Teil der Lösung: Lerntechnologie erschöpft sich nicht in elektronischer Technologie, sondern Technologie war seit der Antike, spätestens mit dem Moment, in dem Platon begann die Dialoge seines Lehrers aufzuschreiben, im Unterricht präsent. Seit über 2000 Jahren wird also nicht ohne Technik unterrichtet, Puentedura weiß das (Puentedura 2016). Ich verschärfe hier lediglich die Kritik an der Sketchnote. An den Medienbegriff McLuhans erinnernd, hat Krommer 2019 festgehalten: Man kann nicht nicht-medial unterrichten. 

 

Nichts veraltet in einer Gesellschaft der raschen Digitalisierung, wie sie in Deutschland in der Breite erst mit der Pandemie begann, so schnell wie Modelle über die Digitalisierung von Unterricht. Ruben R. Puentedura hat das Modell 2006 präsentiert, also zu einer Zeit, in der einzelne – meiste kleine – Länder oder Stadtstaaten die Digitalisierung rasch vorantrieben und große Staaten und insbesondere Deutschland zurückblieben. In Deutschland wiederholte sich ein Effekt, der schon für den Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben werden konnte. Die Eliten in Staat und Verwaltung, teilweise auch die Eliten in der Wirtschaft versagten, weil die raschen Umbrüche bei gleichzeitig fortbestehenden und sich verschärfenden Ungleichheiten, so gilt heute jedes 5. Kind in Deutschland als arm, entweder nicht wahrgenommen oder aufgrund der Klientelpolitik in den Subsystemen der Politik bewusst ignoriert wurden, gegen den Rat der Experten, wie Scobel weiß (Scobel 2022). Die fehlende Chancengleichheit und das bewusste Ignorieren der Expertenmeinungen sind bis heute nicht hinreichend skandalisiert. - Das Modell ist blind gegenüber diesen gesellschaftlichen Verwerfungen. Sucht man also Orientierung entlang eines kulturlosen und ahistorischen Modells, dann erkennt man weder gesellschaftliche Missstände noch die notwendigen Konsequenzen. Ein ahistorisches Modell scheint auf den ersten Blick ohne Ablaufdatum; so führt man in der Gegenwart einfach fort, wie man es in der Vergangenheit gehalten hat: Eltern finanzieren die iPads, der Schulträger bestimmt die Upgrade-Zyklen im Klassenraum / Schulzimmer. Die Fixierung auf Technologie im Modell verwischt die gesellschaftlichen Realitäten und am Ende steht die Erkenntnis: Den vom Elternhaus unterstützten Schüler:innen hat die Pandemie richtig gutgetan, sie sind über sich hinausgewachsen. Auf der anderen Seite sind die schwachen Schüler:innen ohne Elternunterstützung weiter abhängt worden. 

Abbildung 2 - Wampfler: Zwei Denkweisen (17.3.22)

Ein Modell der Digitalisierung ist nicht notwendigerweise blind gegenüber einer Kultur der Digitalität. Aber das (S)AMR-Modell ist es. Daraus ergibt das folgende Szenario: Die Stufen Substitution und Augmentation sind nur im entfernteren Sinne eine Frage von Pädagogik und Didaktik, sie sind vielmehr eine Aufgabe des Schulträgers. Der Schulträger kümmert sich zumeist um die Digitalisierung, während es den Schulen und Kollegien im Idealfall im Verbund mit Eltern und Schüler:innen obliegt, eine Kultur der Digitalität zu etablieren. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen würde ich die These von oben, dass es die Stufe Substitution gar nicht gibt, zuspitzen: Schon der Schulträger hängt die neue digitale Technik mit einem „Augmentation“-Auftrag in die Klassenräume / Schulzimmer. Eine Substitution wäre schon dem Schulträger zu wenig. Der Schulträger installiert jene mediale Infrastruktur, die auf der Ebene Augmentation die Affordanz von Hard- und Software - in Form des Prospektversprechens zum Zusatznutzen - dem Kollegium vorstellt. Bleibt das Kollegium der Tendenz nach beim Prospektversprechen, dann grüßt täglich das Murmeltier. Geht es einen Schritt weiter, wird der Unterricht (leicht) modifiziert. Auch wenn auf Implementationsveranstaltungen in der Gegenwart immer wieder nachgefragt wird, was unter einer Kultur der Digitalität verstanden wird, kommt mit Orientierung am (SA)MR-Modell, häufig die leicht verlegene Antwort, dass es eine Art von Unterricht sein könnte, den man sich bisher nicht vorstellen konnte. Richtig wäre: Ohne soziologische Expertise, ohne Auseinandersetzung mit Digitalität und Gesellschaft wird in den Schulen keine Kultur der Digitalität einziehen. Wampfler 2022 hat das entsprechend herausgearbeitet (siehe Abbildung 2). Die eine „Denkweise“, die von Digitalisierung ausgeht, fragt, nachdem die Geräte Einzug gehalten haben, was denn damit anzustellen, wo genau der Mehrwert zu finden sei. Wenn Schule jedoch gelingen soll, dann muss die „Denkweise“ Digitalität Einzug halten: sich auseinandersetzen mit gesellschaftlichen Praxen, eigene digitale Lehrmittel herstellen und den Schüler:innen das geben, was sie können müssen. Hier ist jetzt mein Punkt: Wenn ich Puentedura auf seine Hoffnungen antworten darf, die er hier äußert und die auf eine veränderte Lernkultur abzielen, dann sage ich mit Wampfler "Nein, die Orientierung an diesem Modell verstärkt die 'Denkweise Digitalisierung', die nicht zum Ziel führt, ganz im Gegenteil, die geeignet ist, die alte Lernkultur mit sehr viel Kontrolle fortzuschreiben'.

Während auch die Schulen der nachholenden Digitalisierung genau einen Schritt werden gehen können, der geneigte Leser, die geneigte Leserin wissen: von Augmentation zu Modifikation, bleibt der übernächste Schritt, die übernächste Stufe unerreichbar. Redefinition bleibt ein Nicht-Ort der Pädagogik, ein Utopos (örtlich), eine Utopie (zeitlich), setzt man sich nicht mit Digitalität auseinander. Das vorherrschende Bewusstsein fasst es vielleicht in diese Form:

 

Im Lande von Redefinition, im U-Boot auf dem Meeresgrund, sind ja verrückte ‚Sachen‘ möglich: z.B. Temporäre Auflösung des Klassenunterrichts, Lernen vom Ort der Schule tendenziell abkoppeln, Frei-Days und mehr, digitale Artefakte als durchgehendes Prinzip der Produktorientierung, e-Portfolios und weitere alternative Prüfungsformate, ja vielleicht sogar Lernen ohne Notendruck … - alles ‚Sachen‘, von denen wir hier lieber die Finger lassen sollten!“

 

 

Redefinition ist und bleibt entweder eine Projektion im besten psychoanalytischen Sinne und könnte ein Kreativspielplatz für Schulentwicklungsinnovator:innen sein, ist es aber nicht, weil sich jene bereits mit der Standardkritik am Modell von demselben verabschiedet und sich mit guten Gründen neu orientiert haben. Letztlich passt es ins Bild, dass das Modell besonders im deutschsprachigen Raum - in den Denkmustern der Informatik verbleibend - aufgegriffen wurde: Es sortiert algorithmisch stufenlose gesellschaftliche Prozesse in vier diskrete Operatoren. Ich schreibe das Modell nun wie folgt: (SA)M(R)-Modell.

    8. Digitalisiert man einen schlechten Prozess, dann erhält man …

 

Auch wenn mit dem Digitalisierungspakt versucht wurde, das alte Verfahren, die schlechte Praxis, also der Schulträger überlegt, was er finanzieren will, dadurch abgelöst werden sollte, dass zunächst die Pädagog:innen überlegten, welche Form von Unterricht sie wollen und davon ableiten sollten, welche Technik sie für einen lernförderlichen Einsatz benötigen, zeigt die Realität oft, dass der Schulträger letztlich die Richtung vorgibt, allein schon deshalb, weil den Kollegien Zeit und Energie fehlt, um sich darüber sach- und fachgerecht zu informieren, um auf einer informierten Basis zu entscheiden und Vorgaben zu machen. Realiter kam es wohl zu einem Prozess (sagen wir einschränkend: in den letzten drei Jahren in Deutschland), in dem auf den bisherigen Lehr-Lernprozess zurückgeschaut wurde. Wir wissen mit Honegger 2020, dass damit die Evaluation des Notfallfernunterrichts mit einbezogen wurde. Die daher naheliegende Problemstellung lautete in den meisten Kollegien i.d.R.: Was benötigt man, um das Bisherige, man nannte es das „analoges Lernsetting“, in ein digitales zu verwandeln? In diesem Prozess von Evaluation und aufgeworfenen Fragen wurden die Gewohnheiten des Unterrichtens zwar manchmal im besten konstruktivistischen Sinne irritiert und dennoch nie grundsätzlich in Frage gestellt.

 

Die Denkweise ‚Digitalisierung‘ hat sich flächendeckend über Land und Leute ausgebreitet, das (SA)M(R)-Modell  befeuert den Flächenbrand: Jetzt werden – häufig mit expliziten Modellbezug – landauf und landab „analoge Lehr-Lern-Prozesse“ digitalisiert. Das inkludiert, dass auch wirklich schlechte „analoge Lehrsettings“ in schlechte digitale Lehrsettings überführt werden. Dieser Umstand provoziert sogar die zukünftigen Evaluationen, in denen wir lesen werden, dass sich trotz Digitalisierung – also trotz zunehmender Substitution alter Technik durch neue Technik – der Unterricht nicht verbessert hat. Man sucht nacht dem Mehrwert, findet ihn aber nicht. Genau dieser Umstand wird schließlich dazu führen, dass mehr und mehr die Apollo13-Metapher am allerbesten den „Stand der Digitalisierung“ beschreibt. All das geschieht, obwohl eigentlich allen Beteiligten das Folgende bewusst ist: „Digitalisiert man einen „schlechten“ analogen Unterrichtsprozess dann erhält man einen schlechten digitalen Unterrichtsprozess“. (By the way: Angelehnt ist meine Formulierung an eine etwa sieben Jahre alte, die es in der Netzwerkgesellschaft zu einer gewissen Prominenz geschafft; sie geht zurück auf den ehemaligen CEO der Telefonica Deutschland, Thorsten Dirks, der bezogen auf Unternehmensprozesse 2015 rücksichtslos formulierte: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess“).

      9. Das Modell im Einsatz: Es wirkt …

 

Zwischenzeitlich haben sich viele Pädagog:innen "auf den Weg" gemacht. Der Schulträger hat neue Technologie in den Klassenräumen / Schulzimmern installiert. Die Lehrer:innen sind auf ihrem Weg dadurch gleich auf der Stufe Augmentation gelandet. In dieser Situation fällt ihnen meist das (SA)M(R)-Modell in die Hand. Diejenigen, die voran gehen und die in den allermeisten Fällen die Konzepte für lernförderliche IT-Technik im Unterricht verfasst haben, verweisen dann im normativen Sinne auf die zwei (bis drei) Folgestufen. Alle anderen richten sich zunächst einmal häuslich auf dem diskreten Etappenziel ein. Es setzt der Murmeltier-Effekt ein. Zusätzlich erleben sich die „verspäteten Digitalisierer:innen“, die erst durch die Pandemie angeschubst wurden, als Etappensieger:innen. Der Blick auf das Modell, das in konsequenter Weise ahistorisch gelesen wird, zeigt klar auf: Die erste Etappe ist geschafft! Hier heißt es nun, zu konsolidieren: die eigenen Kompetenzen und das Unterrichtsgeschehen. – Unbekannt bleibt (oder verloren geht) wie unbeholfen die Beispiele des Modells heute wirken, da das Modell nunmehr auf seine Volljährigkeit zusteuert.

 

Historisieren wir einmal das Modell: Es stammt aus einer Zeit, die mit wenig Verzögerung auf die Losung „Schulen ans Netz!“ am Ende der 1990-er folgte. In der ersten Hälfte der Nullerjahre war die Netzwerkgesellschaft, die die Kultur der Digitalität nachhaltig prägen sollte, beinahe unbekannt (The facebook war gerade einmal zwei Jahre alt, das iPhone als das ikonische Gerät für Mobil-Computing noch nicht vorgestellt). Es entstand ein Modell, mit dem bescheidene Veränderungsvorschläge für Unterricht vorgebracht wurden, bevor sich ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Rahmendaten von Schule und Unterricht, v.a. von Lernenden und Lernen, radikal wandeln sollten. Kultur hat sich mit hoher Geschwindigkeit weiterentwickelt. Als heuristisches Modell taugt daher das (SA)M(R)-Modell schon deshalb nicht, weil es sich nicht mitentwickelte und die Veränderungen der digitalen Sphäre, Stichworte: „Leben onlife“ (Floridi) und „Social Media“, nicht wahrgenommen hat, bzw. wahrnehmen konnte. Dass ein internetfähiges Mobilgerät als Kulturzugangsgerät (Lisa Rosa) jede(n) Schüler:in tagtäglich rund um die Uhr begleitet, lag 2006 noch jenseits aller Vorstellungskraft. Heute sind es bereits zwei Geräte. Mit diesen Geräten ist es heute möglich, jederzeit selbst „auf Sendung zu gehen“. Alle Knappheit an Information ist überwunden.

Durch diese Digitalisierung ist eine der Kultur der Digitalität möglich geworden, die – entlang veralteter Modelle – längst Unterricht auf der Stufe Modification nahelegt. Tatsächlich aber steckt man in der Murmeltier-Falle: Obwohl die Gesellschaft (außerhalb der Schule) viel weiterentwickelt ist, gibt man sich in Schule mit „ersten Schritten“ und Substitution / Augmentation zufrieden, weil man den falschen Denkmustern folgt (siehe Wampfler oben). Die digitale Kluft zwischen einer Gesellschaft der Digitalität und der schulischen Realität weitet sich aus, anstatt dass sie geschlossen wird. 

Die Zeilen entstehen zu einer Zeit, in der eine besondere Nachricht aus dem Bildungsbereich den Nachrichtenstrom zum Krieg in Europa durchbricht: In zwei Jahren Pandemie habe sich die Lesefähigkeit der Kinder - getestet im 2. und 4. Schuljahr – deutlich verschlechtert, vermelden die Abendnachrichten. Aus meiner Sicht zeigt sich hier besonders gut das Versagen von Behörden, privaten Unternehmen (Schulbuchverlagen, Amazon, Thalia etc.) Schulen und Eltern: Versäumt wurde, es den Heranwachsenden zu ermöglichen und zu zeigen, wie man systematisch auf persönlichen digitalen Geräten liest und das Gelesene verarbeitet. Hier gibt es …

  • ein Eigentumsproblem (wem gehören wie lange digitale Artefakte von „Büchern“ auf digitalen Endgeräten), man kapituliert vor dem Eigentumsrecht.
  • ein ökonomisch-soziales Problem (Hat wirklich jede(r) Schüler:in die gleichen Möglichkeiten? Nein, denn man kapituliert vor den ungleichen Verhältnissen.
  • ein Wahrnehmungsproblem (Anfänge digitalen Lesens werden als „Handy-Daddeln“ fehlgedeutet), man kapituliert vor dem Sprachgebrauch der Allgemeinheit, die das Kulturzugangsgerät als solches nicht würdigen kann.
  • ein Umsetzungsproblem (welche Literatur lesen, wie lesen, wie markieren, wie remixen, wie in sozialen Medien lesen, wie Threads lesen ….?), man kapituliert – möglicherweise mit (SA)M(R) – vor der Erkenntnis, dass das Medium die Message ist,
  •  ein didaktisches Problem (Wo sind die coolen und interessanten Lese- und Literaturproduktionsideen im Unterricht, etwa entlang der Ideen von Gerhard Lauer 2020?)
  •  ein Prüfungsproblem, weil der Behörden-Tanker nur ganz langsam manövrierfähig wird, man hat bisher vor veralteten Prüfungsformaten kapituliert,
  •  und (wie immer) ein echtes oder nur behauptetes Datenschutzproblem (es sind die Behörden, die über die Eigentumsfrage das Datenschutzproblem lösen können).

  

Das Modell reflektiert überhaupt nicht auf Kultur im Allgemeinen und auf die digitale Kultur im Besonderen. So bleibt etwa die neue Diversität und die sich vertiefende Ungerechtigkeit (digital gap) in Gesellschaft und Schule vollständig ausgeblendet. Das mag der eine als notwendige Realitätsreduktion im Modell erachten, nur gehört dann eben auch dazu, dass das Modell auch hier keine Orientierung liefern kann. Damit ist es weitgehend unbrauchbar, um die Phänomene der Digitalität in Unterrichtsszenarien mit angereicherter und integrierter Technik zu erfassen. Das (SA)M(R)-Modell ist jetzt schon das meta/facebook der Lernmodelle: überall bekannt und gleichzeitig irrelevant. Das eine ist ein Dinosaurier der sozialen Medien und das andere ein Dinosaurier der Modelle über zeitgemäßen Unterricht.

    10. Die Schule der Zukunft ist und bleibt eine Schule der permanenten Gegenwart

 

Die Modell-Stufen Modification und Redefinition werden in einer Gemengelage der drei Metaphern als vorherrschendes Bewusstsein auf eine ferne Zukunft verschoben, die nie erreicht wird oder nie erreicht werden soll. Die Orientierung an diesem Modell führt der Tendenz nach dazu, dass sich die Potenziale der Innovation nach einem evaluierten Augmentation-Prozess erlahmen.

Das Modell wirkt der Tendenz nach sogar regressiv, weil es blind macht gegenüber schlechter Unterrichtspraxis. Schlechter, „analoger“ also herkömmlicher Unterricht in Klassenräumen / Schulzimmern wird möglicherweise einfach deshalb für zeitgemäß befunden, weil der Schulträger digitale Technik eingebaut hat. In der Konsequenz wird fortan schlechter digitaler Unterricht gemacht und als innovativ positiv gerechtfertigt mit (SA)M(R). Das ist das Worst-Case-Szenario.

Grundsätzlich bleibt die Kritik bei der unterstellten Blindheit gegen kulturellen Entwicklungen nicht stehen. Wie schon an anderer Stelle gesagt, ist noch offensichtlicher, dass das Modell eine technologische Taxonomie insinuiert. Leider haben hierzu die vielen Visualisierungen beigetragen. In einem Satz: Je mehr technologische Tools im Unterricht umso besser. Aber warum?

Die Schule der Zukunft bleibt immer in der Zukunft, ja sie bleibt unerreichbar: Unglück für die einen, ein Segen für die anderen. Was aber passiert in der Gegenwart, wenn man – weil man sich orientieren will – das (SA)M(R)-Modell heranzieht? Man starrt auf die sich entwickelnde Technologie und deren sukzessiven Einführung in die Klassenräume / Schulzimmer. Tatsächlich benötigt wird heute vielmehr ein „Zoom-out“, so dass die anderen relevanten Felder für Unterricht wieder in den Blick geraten, bzw. dass Technik immer in Kultur und die sie prägenden gesellschaftlichen Strukturen eingebunden ist. Durch das Modell wird jedoch der Blick extrem verengt, die Weiterentwicklung von Unterricht wird an Technologie gekoppelt. M.g.W. nach gibt es keinen näheren Hinweis darauf, wie der Übergang von Anreicherung zu Transformation „funktioniert“ oder gelingen kann. Warten auf einen Trojaner? Wer auf einen Trojaner wartet, der nimmt ihm seine Waffen!

 

Doch selbst die Transformation (oder das Transformationsziel) bleibt blind gegenüber den Fragen jenseits der Modification von Aufgabendesign. Gefragt werden müsste, „Transformation zu welchem Zweck, auf welches Ziel gerichtet?“. Ist es das Ziel, schlechte, ungerechte Schulstrukturen mit neuer (Medien-)Technik in die Zukunft zu transformieren, oder ist es Ziel, Ungerechtigkeit, Exklusion, Zugangsbeschränkungen u.ä. in ein gerechteres, diverseres, offeneres Schulsystem zu überführen? 

 

Das wollte und konnte das (SA)M(R)-Modell nie beantworten. Jetzt ist es veraltet, schafft eher Verwirrungen und Verirrungen als Orientierung. Die Stufe Substitution ist eingeklammert und durchgestrichen, weil es eine solche Ersetzung nie gegeben hat. Ersetzung hat den Zweck, einen Zusatznutzen zur Verfügung zu stellen. Augmentation ist eingeklammert, weil zur Erreichung dieser Stufe keine didaktischen Veränderungen nötig sind, vielmehr stellt der Schulträger das Prospektversprechen in Hard- oder Software in den Klassenraum, bzw. in das Schulzimmer. Die Stufe Redefinition ist eingeklammert und durchgestrichen, weil die Stufe eine utopische Projektion definiert, die mit Technologieeinsatz allein nie erreicht wird. Gegenwartserfahrungen entlang der Murmeltier-, Apollo13- oder Boykott-Metaphern lassen vieles erwarten, am wenigsten jedoch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, die soziale Gerechtigkeit und postdigitale Didaktik zum Ziel zu haben. Für das (SA)M(R)-Modell waren das nie relevante Ziele. Ein Modell, das letztlich einzig die Auskunft gibt, "Modifiziert euren Unterricht!", ist banal. So bleibt die Erkenntnis, dass Materialien aus dem Apothekerschrank - wie wir alle wissen – als Sondermüll deponiert gehören. Werfen Sie es also nicht unachtsam auf den Müllhaufen der Geschichte, sondern tragen Sie es mit Bedacht zur Sammelstelle von Gefahrengütern Ihrer Gemeinde oder Stadt. Das Modell hat ausdient.

 

X/3 Quellenverzeichnis: