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Nazis rein oder raus?

Oder: Wie man trotz aller Medien aneinander vorbei diskutiert.

Eigentlich müsste die Sache mit Björn Friedrich und seit dem 29.1.19 doch klar sein. Ist sie aber nicht. Und das nicht nur, weil Friedrich offenlässt, warum das Gespräch phasenweise "verstörend" wirkt. Der "Teaser" von Friedrich zeigt sehr viel vom "Klick-Journalismus": "Verwende einen Begriff oder stelle eine Situation möglichst so dar, dass der User unwiderstehlich deiner ausgelegten Fährte folgt". So viel schon vorweg: "Aufschlussreich" ist das Gespräch nur auf der Meta-Ebene, also dort, wo sich die Erkenntnis einstellen kann, dass die Autoren nicht miteinander, sondern ausschließlich aneinander vorbeireden. 

 


Aber der Reihe nach:

 

1. Auf dem "schwarzen Kanal" erscheint am 18.1.2019 die Fleischhauer-Kolumne "Nazis rein" (Hier handelt sich bei genauerer Betrachtung um exakt eine einzige kleine Idee, die mit ein wenig Text ummantelt wurde).

2. Am 23.1.2019 erscheint die Saschas Lobo-Kolumne als Replik aus dem "eigenen Haus" mit dem Titel "Die Goldmedaille in Privilegien-Blindheit". Richtig gut ist die Aufzählung der Vorfälle mit rechtsextremistischen Hintergrund im Januar 2019. Ansonsten wird die Hauptthese ins Spiel gebracht, dass heutzutage die Konservativen (und nicht mehr "die Linken") provozieren wollen.

3. Am 27.1.2919 erscheint der "Debatten-Podcast"* in seiner 76. Auflage mit einer Premiere: Zu Beginn hören wir ein ca. 20 min langes Telefongespräch zwischen den beiden Akteuren. Ich bin ein echter Fan des Debatten-Podcasts, allerdings zeigt das Premierenformat nichts anderes, als dass die beiden Autoren sich überhaupt nicht verstehen (ich meine nicht die Beziehungsebene).

(*Im Debatten-Podcast kommentiert Lobo die Kommentare und SocialMedia-Reaktionen auf seine Kolumne).

4. Die Debatte, die anschließend über Fleischhauer oder über den Schlagabtausch mit Lobo geführt wurde, (vgl. z.B. Samira el Quassil mit Bezug auf Markwardt) läuft ebenfalls ins Leere, weil nicht zwischen "Anspruch" und "Wirklichkeit" unterschieden wird. Die "Entnazifizierten", die in die Gesellschaft hinein gelassen wurden, hatten den Nazismus nun "aus dem Kopf" bekommen, heißt es da. Nur Entnazifizierte durften dann "rein". Diese Darstellung ist leider nur idealistisch. Real war es eher so, dass der Nazismus nur in den folgenden Jahrzehnten - wenn man so will - "abgelegt" werden konnte, und zwar dadurch, dass sich den Nazis mit ihren vielen recht bruchlosen Karrieren zeigte, wie die Bundesrepublik Deutschland ein ökonomisch sehr erfolgreiches Gemeinwesen sein konnte (und zwar ohne Eroberungskrieg und ohne systematische Ausgrenzung und Vernichtung von "Untermenschen"). Die Alliierten der 40er und "die Linke" der 60er Jahre hatten da die realistischere Einschätzung: Viele Nazis hatten mit ihrer alten Gesinnung in der neuen Gesellschaft weitermachen können: Der "Geist der Restauration" erklärt sich im Wesentlichen auf diese Art*.

 

* Hier ein Beispiel für eine Wirklichkeit der "Entnazifizierung": 

[Erst] [a]m 6, November 1958 gründen die Justizminister der Länder die „Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg bei Stuttgart. 
Rund 100.000 Nazi-Verbrecher werden in den nächsten 40 Jahren ausfindig gemacht, allerdings werden nur 6.500 rechtskräftig verurteilt. Doch darunter ist kein einziger NS-Richter. Willy Dreßen, ehemaliger Leiter der Zentralstelle:
'Das lag an der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes. Der BGH hat also gesagt: In diesen Fällen ist Rechtsbeugung nur dann gegeben, wenn die Leute gegen ihre Überzeugung gehandelt haben. Die konnten aber immer nachweisen, oder haben das jedenfalls gesagt: Ich war eben damals ideologisiert. Und infolgedessen glaubte ich Recht zu sprechen, indem ich dieses Todesurteil verkündet habe. Da können Sie ihm schlecht das Gegenteil nachweisen. Das hat dazu gereicht, dass man die großen Fische nicht verurteilen konnte'. (Deutschlandfunk)


Ich versuche zunächst zur eigentlichen Debatte zurückzukommen und zu sortieren:

 

Erstens: Der eine Gedanke von Jan Fleischhauer heißt: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Integration ehemaliger Nazis in ein demokratisches Gemeinwesen funktioniert. Aus Nazis werden der Tendenz nach Demokraten (sie identifizieren sich schließlich mit dem Gemeinwesen, das ihnen die soziale Absicherung garantiert). Das ist die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Punkt. Hier lese ich den Gedanken:

 

"Nazis rein" wäre als Motto sehr viel gesellschaftsdienlicher. Selbst echte Nazis hat man zu integrieren versucht. Neben die Entnazifizierung trat nach 1945 schon bald die "Reeducation", mit der die Amerikaner aus überzeugten Nationalsozialisten brave Demokraten machen wollten. Leider kann man sich auf das Geschichtsbewusstsein der Deutschen nicht mehr verlassen. Das gilt, wie sich zeigt, auch für Linke.

 

Zweitens: Lobo versteht die These auf der inhaltlichen Ebene nicht. Er besteht darauf, dass es sich um eine Provokation handelt und dass extremistische "Meinungen" ausgegrenzt gehören, weil sie eine Gefahr für das Gemeinwesen sind und das zeige sich z.B. daran, dass die Holocaust-Leugnung in der Bundesrepublik unter Strafe steht. Er übersetzt den letzten Abschnitt von Fleischhauer in "Umerziehung", der er kritisch gegenüberstehe, wie er sagt. Ohne hier viel zu unterstellen, ist die bewusste rhetorische Leerstelle wohl dazu da, um den Leser assoziieren zu lassen; im Selbsttest komme ich auf "Gehirnwäsche", "Umerziehungslager", usw. Im Text steht es so:

 

Man erkennt das daran, dass Fleischhauer am Schluss seiner Kolumne ein Rezept des Umgangs mit Nazis anführt, das bei Rechten nicht besonders gut ankommen dürfte. "Nazis rein" sei "sehr viel gesellschaftsdienlicher" schreibt er, und erklärt das mit der amerikanischen "Reeducation" von Nazis zur Nachkriegsintegration. Die Übersetzung lautet "Umerziehung". [...] Dem Konzept Umerziehung stehe ich in der Tendenz kritisch gegenüber, aber wenn Fleischhauer drauf besteht [...].

 

Drittens: Die Praxis der Bundesrepublik Deutschland, besser: der einzelnen Länder oder der Bundesministerien, besteht aus verschiedenen Facetten im Umgang mit Rechtsextremismus, z. B. in Überwachung, in ideologischer und kriminologischer Bekämpfung und in Aussteigerprogrammen für Rechte, vgl. dazu beispielsweise das NRW-Innenministerium oder die Comeback - You are not alone (CoBa-Yana) in Dortmund (gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). "Nazis rein" in die Gesellschaft findet also statt. "Umerziehung" gelingt manchmal den "Rechten" selbst, man sagt dann wohl - mit gewissem paternalistischen Unterton - "das Alter hat sie zur Vernunft gebracht". Häufig ist es aber auch viel mehr: das aktive Herausholen und Heraushalten aus alten Strukturen, das dem Einzelnen ohne Unterstützung nicht gelingt. Auch das wird Realität sein.

 

Viertens: Die Leugnung von "Tatsachen", wie dem Holocaust, steht zu Recht unter Strafe. Die Leugnung von Tatsachen oder die Tatsachen leugnenden Politiker gehören unbedingt aus dem demokratischen Diskurs ausgegrenzt. Also ganz so wie es Lobo sieht. Und sie gehören ganz bestimmt nicht in Talkshows. Davon zu unterscheiden ist in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland das "Recht auf freie Meinungsäußerung". (Zur verfassungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Tatsachen und Meinung sei grundsätzlich die "Lage der Nation" empfohlen, im Juli 18 klären die Autoren anhand von Zuckerbergs Reaktionen auf die Hassreden in Facebook den oben genannten Unterschied zwischen Tatsachen und Meinungen in der Bundesrepublik Deutschland einerseits und der fehlenden Unterscheidung in der Verfassungsgeschichte der USA andererseits: dort fällt selbst das Leugnen von Tatsachen, wie etwa "Der Mond kein 'Erdtrabant', wie es die allgemeine Lehrmeinung sagt, sondern ein fußballgroße Stück Stück gelber Käse", unter "freie Meinungsäußerung").

 

Fünftens: Die Aufregung war also fehl am Platz. Wenn es um "rechte Meinungen" geht, gilt tatsächlich die Aufforderung des Bundespräsidenten vom Jahresbeginn: Redet miteinander! Für unseren Diskurs gilt selbstverständlich noch mehr: Bezieht euch sachlich und sachgerecht aufeinander, versucht, zu verstehen (wie komplex der andere auch immer argumentiert), fragt im Zweifel nach, versucht euch - übend! - im ideologischen Turing-Test*.

 

P.S. Grundsätzlich muss ich selbstverständlich einräumen, dass ich ebenfalls nur einer Medienfinte aufgesessen bin: Das Ganze als Inszenierung des SPIEGELs zusammen mit SPIEGEL-Online zur Reichweitenerhöhung der Autoren oder des Blattes (aber das ist ja schon Verschwörungstheorie).

 

*Beim "ideologischen Turing-Test" versucht man als Anhänger der Position B einem unabhängigen Dritten die Position A so zu erklären, dass der Dritte nicht mehr erkennen kann, dass du Position A realiter ablehnst. Schaffst du es, dann hast du den Test bestanden. (Vgl. dazu Dirk von Gehlen: Das Pragmatismus-Prinzip).