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Lehrkräfte in der digitalisierten Welt

Orientierungsrahmen für die Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung in NRW

Der Inhalt des Orientierungsrahmen

 

"3. Die Vorgaben und Diskussionen über Digitalisierungskonzepte aller Art sind Teergruben für ihre Umsetzung" (Philippe Wampfler, am 28.1.2020)

 

1. Hinführung

 

Endlich ist er da: der Orientierungsrahmen (OR). Lange haben die Lehrerausbilder*innen im Land NRW darauf gewartet. Die Erwartungen waren bei den einen hoch, bei anderen niedrig: Könnte eine genaue Beschreibung des Lehrkräfteprofils für eine digitale Gesellschaft das Aus- und Weiterbildungskonzept vorzeichnen, eben Orientierung geben? Oder würde eine weitere Konzeptualisierung von bekannten Positionen die Chancen auf eine Digitalisierung mit der Perspektive einer Kultur der Digitalität eher behindern, fragten andere. Ich vermute, dass die Antwort auf beide Fragen mit JA beantwortet werden können: Er liefert Orientierung und verstellt Chancen auf eine Kultur der Digitalität. Also: Achtung aufgepasst! Diesen Beitrag wird nur wertschätzen können, der auch Negativität, negative Kritik wertschätzen kann. 

 

Zu Beginn stehen die großen Werte wie "verantwortungsvolle Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft" und der "bewusste Umgang mit digitalen Medien". Es heißt: "Es werden zahlreiche Anknüpfungspunkte an die bewährten und selbstverständlichen Aufgaben im Berufsprofil unserer Lehrkräfte aufgezeigt". Und man hofft, durch Arbeit mit digitalen Medien "wertvolle Beiträge zu einer kontinuierlichen beruflichen Professionalisierung" zu liefern. Dazu ist das Folgende (noch einmal) in Erinnerung zu rufen: Die Unterrichtenden haben in großen Teilen keinen bewussten Umgang mit digitalen Medien erlernt, weder in ihrer Sozialisation, noch in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Woher sollen sie es können? Darüber hinaus haben wir es in der deutschen Lehrerschaft mit einer  starken Medienmoralisierung (Rath, Marci-Boehnke, 2019) zu tun, die zu einem viel kritischeren - im unproduktiven Sinne - Umgang mit der Digitalisierung geführt hat als in vergleichbaren anderen Ländern. 

 

Fragt man in den Schulen nach den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen, sieht man vielerorts Achselzucken. Leider ist es nicht das Achselzucken des hoffnungsfrohen Shruggies (¯ \ _ (ツ) _ / ¯), sondern das der Resignation: Da das wöchentliche Deputat an allen Schulen viel zu hoch ist, viele Schulen mit Pensionären den Lehrkräftemangel aufzufangen versuchen, ist die Vorstellung "einer kontinuierlichen beruflichen Professionalisierung" aller Lehrkräfte eher noch ferne Utopie. Es kommt hinzu, dass - auch gerade für NRW - von Eickelmann fünfzig Prozent "Nie-Nutzer" von digitalen Medien in den Lehrerzimmern ausgemacht wurden (vgl. Eickelmann, 2019).

 

Meine Leitfragen sind: Findet sich die Medienmoralisierung auch im Konzept Orientierungsrahmen? Wie paternalistisch gehen die Autoren im Hinblick auf medienethische Fragen ein? Gibt es Antworten im Hinblick auf "kennen lernen von" und "(sich) ausprobieren dürfen"? Wie schnell ist die Orientierung bei Schüler und Schülerin, bzw. verweilt die Orientierung bei den Lehrkräften? Wird Digitalisierung eher als Disneyland, das man buchen und bezahlen kann, oder als Disruption erfasst, in der man kämpfen, mit Widerständen umgehen, kurz: sich freischwimmen lernen muss.

 

 

2. Die Adressaten und die Zukunftsfähigkeit

 

Der Orientierungsrahmen "richtet sich zunächst an alle an Lehrerausbildung sowie Fort- und Weiterbildung beteiligten Akteure im Schulsystem NRW". Gleichzeitig gibt der Rahmen jedoch auch eine Orientierung für die "eigene Professionalisierung" und spricht dabei alle Lehrkräfte an. Der OR behauptet, dass sich in einer "stetig (!) verändernden Welt, jede Lehrkraft aufgefordert (ist), das eigene professionelle Handeln auf der Grundlage der einschlägigen Vorgaben (...) fachdidaktisch bzw. bildungsgangdidaktisch weiterzuentwickeln. Zur kontinuierlichen persönlichen Professionalisierung gehören insbesondere die Nutzung digitaler Möglichkeiten für die eigene Fortbildung" (OR, S. 8). 

 

Im nächsten Schritt geht der OR auf die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) ein. Hier seien die Fach- und Kernseminarleitungen gefordert, den Vorbereitungsdienst "zukunftsfähig" zu gestalten (OR, S. 8-9). Direkt im Anschluss werden die "bereits im Schuldienst befindlichen" Lehrkräfte adressiert und auf die Lehrerfort- und -weiterbildung verwiesen. Der Lehrerfort- und -weiterbildung käme daher die anforderungsreiche Aufgabe zu, den "Ausbau entsprechender Angebote sowie die Entwicklung und den Ausbau neuer Fortbildungsformate" zu realisieren, um "eine möglichst zügige und flächendeckende Unterstützungsstruktur zu gewährleisten". Der OR formuliert, dass "alle beteiligten Phasen der Lehrerbildung" und "auch die Schulen selbst" gefordert sind; sie sind nämlich "angehalten, auf Basis dieses Orientierungsrahmens für Lehrkräfte ihre schulform- und schulstufenspezifischen Konzepte und Vorgaben auf ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen und planvoll weiterzuentwickeln" (OR, S. 9).

 

Ab der Seite 10 wird dann der "Stellenwert der eigenen Professionalisierung der Lehrkräfte in der digitalisierten Welt" vermessen. Die Professionalisierung soll selbstgesteuert erfolgen, nachdem die eigenen Bedarfe festgestellt wurden. Was aber heißt es genau, wenn in einem Land mit fünfzig Prozent "Nie-Nutzern", die Kollegien aufgefordert werden, "die eigene digitale pädagogische Praxis unter Einbezug aktueller Forschung zur Bildung in der digitalen Welt zu reflektieren und weiterzuentwickeln"?

 

Im weiteren Verlauf werden nun im Wesentlichen die fünf "anschlussfähigen" Handlungsfelder mit ihren Kompetenzen dargestellt und erläutert. Die Übersicht folgt hier:

 

Die Übersichts-Seite, OR, S. 15

 

 

3. Auf der "Haben-Seite": Gute Ansätze ...

 

Der OR sagt ausdrücklich etwas über die agile Schule der Zukunft aus: Eigenverantwortlich erheben Lehrkräfte ihren Fortbildungsbedarf und nutzen neben der staatlichen Fort- und Weiterbildung auch Professionalisierungschancen auf Schulebene, etwa durch "Kooperation im Kollegium, mit anderen Schulen oder mit externen Partnern" (OR, S. 10). Auf der Folgeseite wird dann aufgezählt, in welche Richtung die eigene Fortbildung zu gehen hat. Man kann vorweg schon sagen, dass die Aufzählung viele - und nicht nur die fünfzig Prozent "Nie-Nutzer" - der Tendenz nach überfordert. Jedoch gilt: Hier ist ein Auftrag klar formuliert. Die eigene Professionalisierung bezieht sich dabei auf "Aspekte medienbezogener informatischer, pädagogisch-psychologischer, mediendidaktischer, rechtlicher als auch fachlicher sowie fachdidaktischer Kenntnisse" (OR, S. 11, Hervorhebung von mir, M.S.) 

 

Gut auch, dass hier betont wird, dass Anwendungs-Knowhow bezüglich Hard- und Software angeeignet werden und dieses "stetig aktualisiert werden muss". (Es muss hier eigentlich nicht mehr thematisiert werden, aber wir wissen, dass die - nur zum Teil verständliche - Antwort häufig lautet: Wenn der Dienstherr mir Hard- und Software zur Verfügung stellt, will ich gerne damit anfangen). Weiter heißt es: "Darüber hinaus gehört der sichere Umgang mit Lern- und Arbeitsplattformen zu einem zukunftsgerichteten Kompetenzprofil von Lehrerinnen und Lehrern". Mit gefällt hier der Blick auf die kooperierenden Kollegien via Lernplattformen sehr gut, da ich die These vertrete, dass erst die eigene eingeübte Praxis der verbindlichen Kooperation auf einer eingeführten Plattform die Voraussetzung dafür ist, die Verwendung mit Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern, sowie mit Schülerinnen und Schülern zu wagen.

 

Ich persönliche finde es angemessen und gut, dass der OR alle Lehrkräfte damit konfrontiert, dass zukünftig eigenständig digitales Material entwickelt werden soll und dass es um die "situationsgerechte" Durchführung und Reflexion von Unterricht geht und dass dieser Unterricht "auf die Nutzung digitaler Medien zur Gestaltung von schülerorientierten (...) Lernprozessen" abzielt. (Weniger gut gefällt mir, dass der OR hier endlose Bandwurmsätze aneinanderreiht). "Situationsgerecht" dagegen gefällt mir so gut, dass ich hiermit eine agile und situationistische Seminardidaktik ausrufe.

 

Weiterhin gut ist, dass die Lehrkräfte erfahren, dass es nicht um die Digitalisierung des Analogen geht, sondern dass Unterricht durchaus im Sinne der Reformpädagogik, hier heißt es "zukunftsweisende Lernkultur", weiterzuentwickeln ist. Auch der folgende Satz bricht so ein wenig mit der Logik des eindimensionalen "Werkzeugbegriffs" und scheint mehr McLuhan zu enthalten: "Hierzu gehört, digitale Medien nicht nur als Ersatz für analoge Medien oder digitale Anreicherung einzusetzen, sondern ihre Möglichkeiten für die Transformation von Lehr- und Lernprozessen zu erproben und weiterzuentwickeln". Wozu das gehört? Zu der Tatsache der sozialen und kulturellen, gesellschaftlichen Transformationsprozesse im Zuge der Digitalisierung (vgl. OR, S. 16). Vermutlich steckt jedoch nur ein verkürztes Verständnis vom SAMR-Modell dahinter.

 

 

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay.com

 

4. Die offene Liste der Probleme

 

Die Liste kann man mit der ersten Formulierung im ersten Feld ("Unterrichten") beginnen, dort steht: "Digitale Ressourcen und Materialien für das Lehren und Lernen adressatengerecht und zielorientiert auswählen, modifizieren und eigenständig erstellen" (OR, S. 17). Ich lese das wie folgt: Die erste Handlungsanleitung in einem Orientierungsrahmen tappt gleich in die Ziel-Medienwahl-Falle: Obwohl weiter oben noch von digitalen Medien als "Möglichkeiten für die Transformation von Lehr- und Lernprozessen" gesprochen wurde, lautet die Anleitung hier: Suche deine Ziele und überlege anschließend mit welchen Medien du die Reise anreichern kannst (vgl. zu dem Zusammenhang Krommer 2018).

 

Zum Bereich Erziehen gehört meine Leitfrage der Medienmoralisierung. Meiner Wahrnehmung nach kommt hier in großen Teilen eine paternalistische Form von Medienethik zum Ausdruck, die behauptet, dass es in der Schule der 2020-er Jahre Lehrkräfte gibt, bzw. geben wird, die den Schülern und Schülerinnen zeigen können, welche die relevanten Diskurse und Handlungsanweisungen in Sachen Medien sind. Es wird zwar nicht mehr "vermittelt", aber es wird "befähigt", "das eigene Medienhandeln und die Mediengestaltung kritisch zu reflektieren, um Medien zielgerichtet und sozial verantwortlich zu nutzen". Das ist der Bereich, in dem viel zu schnell "kritisch reflektiert wird". Meiner Überzeugung nach, müsste hier der Mut aufgebracht werden, vom gemeinsamen Ausprobieren und Experimentieren zu sprechen, auch um über die Weiterentwicklung - ja, auch der Medienethik - zu verhandeln. Das alles im Sinne einer "experimentellen Medienethik" (Wampfler); noch überwiegt der paternalistische und damit kontrollierende Ansatz der Medienkompetenz. Gut jedoch ist, dass im letzten Feld der Spalte "Erziehen" festgehalten wird, dass "Regeln, Normen und Werte zum kritischen und eigenverantwortlichen Umgang mit digitalen Medien" gemeinsam etabliert werden sollen.

 

Es war ja zu befürchten: Es gibt kaum Aussagen zu den Prüfungsformaten. Im Bereich "Lernen und Leisten fördern" wird ausschließlich deklarativ behauptet: "Neue, auch adaptive technologiebasierte Aufgaben- und Prüfungsformate kennen, einsetzen und selbstständig entwickeln". Einerseits sollen digitale Anwendungen und Werkzeuge zur Diagnostik und zur individuellen Förderung genutzt werden. Auch die Anwendung "assistiver Technologien" zur "adaptiven Unterstützung" wird angedacht: "Neue, auch adaptive technologie-basierte Aufgaben- und Prüfungsformate ergänzen die erweiterten Möglichkeiten, Lernen und Leisten zu fördern" (OR, S. 20). So bleibt natürlich die Frage, wann und wo genau zukünftig "technologie-basierte Prüfungsformate" zu erwarten sind. Ausgerechnet in diesem Kapitel wird der OR prosaisch: "Aspekte (!) der Überwindung digitaler Spaltung bei gleichzeitiger Förderung kompetenter und interessierter Lernender sollen daher zum Kompetenzprofil aller Lehrpersonen werden. Die Ermöglichung bestmöglicher Bildungschancen in der digitalisierten Welt ist von jeder Lehrkraft verantwortungsvoll auszugestalten" (OR, S. 20).

 

Weiter oben wurde aus dem Bereich "Beraten" positiv hervorgehoben, dass hier die Lernberatung und das Feedback mithilfe digitaler Medien besser werden kann. Der ganze Rest zerfällt in zwei Bereiche, nämlich in "neue Beratungsanlässe" und "neue Beratungsmöglichkeiten". Auf LOGINEO wird nicht dem Namen nach hingewiesen. Dennoch könnte - später einmal, wenn eine Schule die Plattform auch mit ELTERN erweitert haben wird - darüber eine Online-Beratung denkbar werden. Die Betreiber von LOGINEO garantieren dann die datenschutzrechtlichen Absicherungen. Die andere Perspektive ist leider vollständig defizitorientiert. Es sind die Schülerinnen und Schüler, die durch den Missbrauch von digitalen Kommunikationsmitteln neue Anlässe der Beratung generieren. 

 

Im Bereich "Schule entwickeln" kommt es zum Schwur: Wie genau soll ein "schulisches Medienkonzept im Sinne eines pädagogischen Leitbildes verankert" werden, wenn fünfzig Prozent der "Nie-Nutzer" ein Konzept für ihre zukünftige Nutzung entwickeln sollen? Hier greift dann das Bild von Schlittschuhen auf der Sandbahn. Oder die anderen es für diese entwickeln und ihnen in der Lehrerkonferenz zur Abstimmung vorlegen? Es stellt sich hier durchaus noch einmal die Frage, inwiefern Digitalisierung, Digitalität und Kultur der Digitalität überhaupt verstanden sind. Mein Lieblingsbeispiel?: Wer ohne die "Formen der Digitalität" (nach Felix Stalder) Gemeinschaftlichkeit, Referentialität und Algorithmizität noch überhaupt nicht verstanden hat, was es heißt, in einer Gesellschaft der Hyperkommunikation über permanente Referenzen und mit algorithmischer Hilfe das Wesentliche zu finden und andererseits selbst intensiv und regelmäßig am Austausch teilzunehmen, der wird aus seinem Gutenberg-Paradigma heraus die erfolgte Aufwertung von Bildern (Insta), Bewegtbild (YouTube, Tik Tok), kurzen Texten (Twitter, WhatsApp u.ä.) und den dort enthaltenden Emoticons alles zusammen als "belanglose Geschwätzigkeit" oder alternativ als "Kulturverfall" verstehen und damit missverstehen. Ein anderes Beispiel: Spätestens seit Honegger wissen wir, alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Wenn dann in 2020 ein südwestdeutscher Ministerpräsident vorsichtig andeutet, dass man sich zukünftig algorithmisch mit künstlicher Intelligenz beim Rechtschreiben helfen lassen kann, bekommt er gewaltigen Gegenwind vom Philologen-Verband. Der Verband lebt vermutlich in einem negativen Reality-Distortion-Field mit gewaltigen Ausmaßen, das die Realität so nicht mehr erfassen kann. Die Realität ist, dass wir den Lern- und Reifungsprozess von Kindern und Jugendlichen - bezogen auf die elementaren Kulturtechniken - radikal verkürzen müssen, um in einer überkomplexen Welt die eigentlichen Themen, nämlich Haltung und Charakter, zu verhandeln. 

 

 

 

5. Fazit: Teergrube Orientierungsrahmen?

 

Auf den ersten Blick scheint der Orientierungsrahmen wirklich Orientierung zu geben, also insofern er den Diskurs eröffnet und lenkt: Jetzt können alle aus der Deckung kommen: zu ambitioniert, zu wenig ambitioniert usw. usf. Um das Konzept "Teergrube" zu verstehen, muss man den Text von Wampfler am besten ganz lesen: Teergruben sind die neuen Verhinderungsdiskurse. In Diskursen über "das Digitale" sei lange mit Fragen des Urheberrechts, des Datenschutzes und der unsäglichen Mehrwert-Debatte versucht worden zu verhindern, dass sich "die durch die Digitalisierung möglich gewordenen pädagogischen Neuerungen an Schulen durchsetzen" (Wampfler, 2020). Heute habe sich der Diskurs verschoben, weg vom Verhindern, hin zu einer Verzögerungstechnik, die in der Informatikbranche - darauf hat Matz Scheib per Tweet hingewiesen - Teergruben heißen: "Eine Teergrube (engl. Tarpit, dt. auch Teerfalle) stellt ein Verfahren dar, mit dem unerwünschte Netzwerkverbindungen künstlich verlangsamt werden und der Verbindungspartner möglichst lange blockiert wird. Teergruben kommen vor allem im Bereich der Spam- und Wurm-Bekämpfung zum Einsatz." (Teergrube (Informationstechnik), zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Teergrube_(Informationstechnik)). Damit ist die Frage auf der Tagesordnung, ob der Orientierungsrahmen möglicherweise - nolens volens - durch seine Instrumentalisierung auch eine Teergrube der raschen und gelingenden Einführung einer Kultur der Digitalität in Schulen werden kann. Dass die Frage der Prüfungsformate nicht offensiv aufgegriffen wird, führt definitiv in eine Teergrube: Ich würde hier gerne die offene Liste von Wampfler fortführen: Die Diskussion darüber, dass man schließlich auf die bestehenden Prüfungsformate vorbereiten müsse, ist eine Teergrube für jede nachhaltige Integration von Kollaboration und Kooperation im Unterricht. Schon 1992 wusste Perelman: "The role of collaboration or technology in learning is placed in the category of cheating". Axel Krommer hat das im zitierten Aufsatz verdichtet in: ""Kommunikation und Kooperation, die zu den Kernkompetenzen des 21. Jahrhunderts gezählt werden, sind während einer klassischen Klausur vor allem eins: Formen des Betrugs" (Krommer, 2018).

 

Der Blick auf die Schüler ist im OR eindeutig defizitorientiert. Die Gefahren des Digitalen, die im Bereich "Erziehen" und "Beraten" beschworen werden, können aus der Gutenberg-Bubble heraus gut instrumentalisiert werden, so dass sich das Diktum Nr. 3 von Wampfler (siehe oben das Eingangszitat) bewahrheiten könnte. Noch bringt der Orientierungsrahmen zu viel von den vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Gutenberg-Paradigmas in Stellung, um mit eine kontrollierenden Medienkompetenz Schülerinnen und Schüler in Mediensachen zu sozialisieren. Dass dies heute und in Zukunft in großen Teilen - und weiterhin! - neben der Schule passieren wird, bleibt merkwürdig ausgeklammert (nicht so Eickelmann auf der EDUCouch (Podcast)).

 

Leider fehlt jede Einschätzung dazu, dass Digitalisierung als noch unverstandene Disruption und Krise alle Gesellschaftsbereiche erfasst und - um ein schiefes Bild zu bemühen - keinen Stein auf dem anderen liegen lassen wird. Im einem Orientierungsrahmen für Lehrkräfte fehlt leider auch jedes Wort zu der Tatsache, dass die Lehrkräfte die Digitalisierung selbst krisenhaft, als Entwertung ihrer (fachlichen) Kompetenzen, als Unsicherheitsfaktor und häufig angstbesetzt erleben, dass viele mit vermeintlich guten Gründen dagegen kämpfen. Ich gebe zu, der Aufruf zur stetigen Fortbildung stellt einen Hinweis in diese Richtung dar.  

 

Kurz mir fehlt etwas: Ich weiß auch warum, weil es nun mal keine Kompetenz ist, fehlt das AUSPROBIEREN. Kein Wort davon, dass Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam "das Digitale" erkunden, ausprobieren, sich darin testen, überraschende Ergebnisse zulassen (können). Sicher, das ist alles im Subtext enthalten, wenn man die Kompetenzen aufzählt. Aber gerade das Aufzählen, die Selbstverständlichkeit der Kompetenzen, irritiert. Denn so ist Digitalisierung planbar, buchbar und einkaufbar: Man kann sie buchen und bezahlen, Überraschendes ist ausgeschlossen, die Krise und die Disruption abgesagt. Die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, die erleben, dass man kämpfen muss, dabei verlieren kann, dass man mit Widerständen umgehen muss, werden so eher nicht erfasst. So beschreibt der Orientierungsrahmen den Übergang von Gutenberg-Paradigma hin zum Turing-Paradigma als Shopping-Erlebnis in einem bunten und sehr gut sortierten Warenhaus (egal ob real oder online): Man bediene sich in den bunten Regalen, versorgt werde man über die existierenden Unterstützungsstrukturen: vom Kompetenzteam bis zur QUA-LiS (vgl. OR, S.12).

 

Ich hoffe, dass dieser Text im Sinne des Orientierungsrahmens zumindest in "medienbezogener informatischer" Hinsicht Ihrem Kompetenzaufbau hinsichtlich der "Teergruben" förderlich war (Der Verdienst gilt dann den beiden Kollegen Wampfler und Schied).

 

Wirklich schade, dass "(sich) AUSPROBIEREN" keine Kompetenz ist.

 

 

Literatur:

 

  • Birgit Eickelmann, S. Jarsinski, R. Lorenz (2019): Unterrichtliche Lernaktivitäten mit digitalen Medien, in: Schule nrw 2/19.
  • Beat Döbli Honnegger (2017): Mehr als 0 und 1: Schule in einer digitalisierten Welt.
  • EDUCouch-Podcast, Folge 72, https://pca.st/episode/c8a10a44-a821-468e-bbdc-678332e5a484.

     

  • Axel Krommer (2018): Wider den Mehrwert! oder: Argumente gegen einen überflüssigen Begriff, in: https://axelkrommer.com/2018/09/05/wider-den-mehrwert-oder-argumente-gegen-einen-ueberfluessigen-begriff/#more-1318
  • Medienberatung NRW (2020): Lehrkräfte in der digitalisierten Welt. Orientierungsrahmen für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung in NRW (Autorin ist B. Eickelmann), Düsseldorf. 
  • Lewis J. Perelmann (1992): School's out. Hyperlearning, the New Technology, and the End of Education,New York. (Mit Dank an an Axel auch für den Literaturhinweis Perelmann).
  • Matthias Rath, Gudrun Marci-Boehncke (2019): Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt, in ZDPE 1-2019, S. 6-15.
  • Felix Stalder (2016): Kultur der Digitalität, Berlin
  • Phillipe Wampfler (2020): Teergruben sind die neuen Verhinderungsdiskurse, zitiert nach https://schulesocialmedia.com/