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Medienkompetenz 'mal ohne Arbeitsblatt!

Ich bin jüngst noch einmal auf den @handysektor hingewiesen worden, weil hier doch viele Materialien für den direkten Einsatz im Klassenraum beworben werden. Ich habe ausdrücklich nach etwas gesucht, das nicht beim Ausfüllen von Arbeitsblättern endet (Das wäre so ein allgemeines Vor-Urteil gegen Materialien auf Klicksafe&Co.). Dann habe ich die Real-Life-Challenge gefunden und halte diese - auch vor dem Hintergrund der Überschrift - doch für eine gelungene Aufbereitung mit Schwächen. Ich versuche in der kurzen Darstellung nicht unfair zu werden, indem ich darauf verzichte der Challenge die Distanzrealität entgegenzuhalten.

 

Ich versuche mal das Gelungene von dem (Noch-)Nicht-Gelungenem zu trennen. Das Gelungene stelle ich ans Ende, denn das ist ja auch meine Botschaft: Es ist eine gelungene Aufbereitung.

 

 

1. (Noch-)Nicht-Gelungenes:

 

Ok. Es ist eine Real-Life-Challenge. Ich habe verstanden. Deshalb darf die Karte 13 wohl nicht fehlen. "Einmal ohne" heißt das 24 Stunden Smartphone-Detox. Unklar bleibt, warum es in einer Challenge auftaucht, die zu richtigen Medienpraxen hinführen will. Aus der Erwachsenen-Perspektive erscheinen 24 Stunden wenig, das sieht aus der Perspektive der Generation Z selbstverständlich anders aus. Als Lackmus-Test der Erwachsenenwelt schlage ich nach wie vor die Zeitungs-Buch-Analogie vor: Warum sollte es noch einmal sinnvoll sein, genau darauf 24 Stunden zu verzichten? Würden wir nicht noch immer den "Bücherwurm" feiern? Dieser Schritt war ein großer für die Menschheit, die noch beim Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert glaubte, dass mit der neuen Roman-Sucht mindestens eine ganze Generation verloren wäre. 

 

Nur noch zwei weitere Karten sollen in diese Kategorie fallen: Challenge Nr. 5. und Challenge Nr. 4. Warum sollen Jugendliche zwei Tage lang keine Fotos und Videos mit dem Smartphone anfertigen? Vorab: Ich habe hier den Verdacht, dass der @handysektor den Sprung von "Handy" zum "Smartphone" irgendwie nicht zulassen will, weil er ihn selbst nicht "gesprungen" ist. Die Möglichkeit Fotos und Videos mit dem Smartphone, also mit dem persönlichsten Gerät, mit dem Supercomputer im Hosentaschenformat anzufertigen, ist doch der Grund, warum sich das digitale Schweizer Taschenmesser namens Smartphone durchgesetzt und sich vom "Handy" emanzipiert hat. Die Aufgabe in Boomer-Perspektive würde lauten: Du darfst zwei Tage lang Fernsehen, aber nur Videotext auf dem Hintergrund von Sendungen, die dich nicht interessieren. Ich finde, das macht irgendwie wenig Sinn (es sei denn, man verfolgt ein heimliches Lernziel: eine Insta-Detox durch die Hintertüre).

 

Ich vermute, die Challenge Nr.4 ist eigentlich veraltet. Würde ein gutmeinender Medienpädagoge die Karte in 2021 noch einmal schreiben, würde sie vermutlich von TikTok handeln.: Drei Tage sich nicht dem Sog von Kurzvideos hingeben, nicht einfach nach oben wischen und weiter. Ich halte diese YouTube-Challenge für eine Fehlleistung, weil die eigentlich gute Absicht Medienkompetenz durch Medienpraxis zu vermitteln in Challenge Nr. 9 zum Ausdruck kommt: nämlich mit der Aufforderung nach Werbeformaten in YouTube-Videos (von "YouTube-Stars") Ausschau zu halten.

 

 

 

 

2. Gelungenes:

 

Sehr gelungen finde ich Challenge Nr. 5. Entgegen dem Titel "Insta-Detox" muss man nicht Instagram Stunden oder Tagelang ungeöffnet lassen. Auch das Posten eigener Storys wird nicht untersagt. Vielmehr geht es bei diesem Insta-Detox ausdrücklich um "ausmisten". Wie gut das tut, hat ja auch @lisarosa schon einmal auf Twitter kundgetan. Die kriterienorientierte Aufforderung ist noch spannender: "Entfolge auf Instagram den Accounts, bei denen du dich beim Anschauen der Bilder nicht so richtig wohl fühlst, z.B. neidisch wirst oder dich nicht schön oder gut genug fühlst. Nimm dir dazu Zeit, deinen Instagram-Feed durchzusehen". Das ist ein konkreter Arbeitsauftrag am Smartphone selbst. Eine ggf. überzogene - pädagogisch begleitete - Alternative, die evtl. in Oberstufen-Kursen in Deutsch, Philosophie und einigen anderen Fächern vorbereitet werden kann, wäre diese: "Als Alternative zum Entfolgen setze dich kreativ mit deinem Unwohlsein auseinander. Fühlst du dich z.B. aufgrund des Schönheitsideals unwohl, überlege dir eine Story, mit der du das hier vermittelte Ideal dekonstruieren kannst". Dieser Arbeitsauftrag folgt der Konfrontationsidee: nicht ausweichen, sondern sich mit der Situation konfrontieren und dabei (innerlich) wachsen.

 

Die WhatsApp 10er-Karte nenne ich mal WhatsApp-Reduktions-Challenge. Eine gute Idee, mit der jede Nutzerin und jeder Nutzer den Fokus- und Aufmerksamkeitskiller mit Selbstbeobachtungen und Selbstversuchen überprüfen kann. Die Challenge gilt ja eigentlich App-übergreifend und hat auf den mobilen Touchcomputern namens Smartphones zu der Entwicklung der "Bildschirmzeit" geführt. Die Bildschirmzeit schlüsselt dabei nach Apps oder App-Gruppen auf, so dass ein recht detailliertes Bild der Nutzung entsteht (Vermutlich stellen in Deutschland überproportional viele Nutzer*innen diese Funktion aus, weil sie - wegen Datenschutz - sich nicht überwachen lassen wollen. Schade). Der Nutzer / die Nutzerin überprüft und beobachtet sich und wird dabei von einem sehr persönlichen Assistenten begleitet und unterstützt. Das ist die reflexive Entwicklung von Resilienz. Die wird sich nicht automatisch einstellen, sondern Eltern und Lehrkräfte können hier unterstützen. Die erste Blanko-Karte, die ich ausfüllen würde, handelt vom reflexiven Umgang mit der "Bildschirmzeit". Was steht auf euer Blanko-Karte? (Gerne die Kommentarfunktion verwenden).

 

 

 

Quelle:

 

Handysektor (Hg.) Real-Life-Challenge, nach: https://www.klicksafe.de/fileadmin/media/documents/pdf/klicksafe_Materialien/handysektor_Real_Life_Challenge/Handysektor_Challenge_2019.pdf

 

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