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Digitale Unterrichtsentwürfe als Padlet - Teil 1

Unterricht digital planen und zu einem digitalen Entwurf auf einer Online-Pinnwand (Padlet) verdichten

1. Krise

 

Wissen Sie noch was ein „Nikolaus-Papier“ ist? Nein? Dann versetzen Sie sich einmal ein paar Jahre zurück, in eine Zeit, in der in irgendeinem Bundesland die neuen Referendarinnen und Referendare zum 15. Dezember alle zwei Jahre für zwei Jahre Ausbildung eingestellt wurden. So schimmert es uns langsam: Das „Nikolaus-Papier“ bestand aus zwei Unterrichtsentwürfen, die als solche unbenotet die Grundlage für die zwei folgenden unterrichtspraktischen Prüfungen darstellte. Wir könnten nun darüber streiten, ob es uns gelingen mag, mit „Nikolaus-Papier“ etwas Positives zu assoziieren. Die damaligen Ausbildungskohorten wussten jedoch schon bei der Einstellung, dass es knapp zwei Jahre später heißen würde: „Verpacke zwei Ideen für guten Unterricht ‚in hübschem Papier‘ und – wenn man „im Bild“ bleiben will – lege sie so der Prüfungskommission vor“.

 

Aus der heutigen Perspektive, 20, 30 oder 40 Jahre später, kann das „Nikolaus-Papier“ noch einmal neu problematisiert werden. Es zeigt sich nämlich, dass in einem Bildungssystem, das die Digitalisierung von Schule und Unterricht verschlafen, verhindert und verzögert hat, die Prüfungsformate, also das Ausbildungsdenken „vom Ende her“ (nicht zu verwechseln mit einer echten Output-Orientierung in einer kompetenzorientierten Ausbildung), einen wesentlichen Anteil an der Innovationsfeindlichkeit des Systems hatte und hat. Das „Nikolaus-Papier“ soll hier einbezogen werden, denn, wenn die Darstellung von Unterricht in diesem Format, Ziel der Ausbildungsbemühungen ist, dann ist es nur zu konsequent, in Ausbildung das Format immer und immer wieder zu üben zu lassen. Unangemessene oder schlechte Ausbildung und schlechte Beratung ergeben sich in diesem Szenario, wenn nicht auf diese Formate hin ausgebildet und beraten wird. „Und zum Abschluss (der Beratung) noch einmal zum Entwurf“, könnte die Redewendung sein, die jeder Referendar und jede Referendarin bis in die Gegenwart nicht nur einmal gehört haben wird.   

 

Aus der heutigen Perspektive liegt viel Falsches darin. Die weitestgehende Kritik am althergebrachten System geht so: Warum beraten Fachleiterinnen und Fachleiter erst im Anschluss an den gezeigten Unterricht zum geplanten Unterricht? Warum wird Planungskompetenz und Durchführungskompetenz – wenn auch nur für Teile der Ausbildung – nicht auch einmal getrennt? Warum gibt es nicht vor der Durchführung des Unterrichts, etwa in dem Sinne: „Nur das Beste für die betroffenen Schülerinnen und Schüler!“, hilfreiche Beratung für den Unterricht? Kann diese „Vorab-Beratung“ tatsächlich die Seminararbeit leisten, die doch in der Tendenz nicht so sehr personenorientiert und adaptiv sein kann wie persönliche Beratung? Es verhält sich wohl so: Wenn man den Gedanken des kollegialen Miteinanders von Ausbildenden und Auszubildenden schon im Planungsprozess ernst nimmt, dann hat Konsequenzen für die Planung als solche. Sicher, in Deutschland gilt der Grundsatz, dass die intellektuelle Höchstleistung in einem Planungspapier genau dann zum Ausdruck kommt, wenn alle Fäden, von der didaktischen Idee über die methodische Grundanlage bis zum Medieneinsatz fein verwoben werden. Für ein solches Konstrukt gilt selbstverständlich, dass, wenn man auch nur an einem einzigen der kunstvoll verwebten Fäden zieht, schon dann das ganze literarische Kunstwerk gefährdet, respektive zerstört. Nimmt man diese Prämisse ernst, dann muss über eine andere Art der Planung nachgedacht werden, und es bedarf nicht langer Überlegung bis ein eher modulares Konzept zum Vorschein kommt.

 

Ein letzter Gedanke noch zum Thema „Nikolaus-Papier“: Die letzte Seite eines jeden Entwurfes besteht aus der Versicherung, dass man sich die Sache selbst ausgedacht und alle Literaturbezüge angegeben hat, so dass geschlossen werden kann, kein Plagiat erstellt zu haben. Im Zeitalter der Digitalisierung, in der Kenntnis darüber herrscht, was eine Kultur der Digitalität ausmacht, tritt das folgende Problem hinzu:

 

„Mit der Aufgabe, vor dem Hintergrund umfassender Bedeutungslosigkeit Bedeutung erzeugen zu müssen, ist jeder Einzelne überfordert. Erstens ist die Herausforderung viel zu groß, als dass Einzelne sie erfüllen könnten, und zweitens entfaltet sich Bedeutung nur intersubjektiv. Sie kann zwar von einer einzelnen Person behauptet werden, aber andere müssen sie bestätigen, damit sie Kultur werden kann. Deshalb ist das eigentliche Subjekt der Kulturproduktion unter den Bedingungen der Digitalität nicht der Einzelne, sondern die nächstgrößere Einheit“ (Stalder: Kultur der Digitalität, Kapitel Referenzialität).

 

In einer digitalen Kultur referenziert jedes Kulturprodukt, so z.B. auch ein Plan für eine Unterrichtsstunde, auf eine beinahe endlose Zahl von kulturellen Vor-Produkten. Es wird Zeit, dass Kulturproduktion – gerade die, die für die Ausbildung der kommenden Generationen gedacht ist – diese Tatsache anerkennt. Hinzu tritt die intersubjektive Relevanz: das allein am Schreibtisch ausgedachte Ergebnis bleibt ohne Bezugnahme auf die Gemeinschaft, in der es entsteht, zunächst bedeutungslos. Die Produkte erhalten erst in der intersubjektiven Interaktion ihre Bedeutung ihre tatsächliche Bedeutung. Jeder einzelne fällt mit einem nicht digital vorgetesteten Produkt in der Netzwerkgesellschaft durch.

Man könnte an dieser Stelle behaupten, dass die digitale Transformation der Schule und der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer notwendigerweise scheitert, wenn sie nicht die zentralen soziologischen Erkenntnisse über die Gesellschaft der Gegenwart  - und wie in ihr relevante kulturelle Produkte entstehen – integriert.

 

Zusammenfassung des Problemaufwurfs: Ausbildung, die auf ein „statisches“ individuelles Prüfungsprodukt ausgerichtet ist, wirkt auf die komplette Ausbildungszeit hin innovationsfeindlich. Einzelelemente der Ausbildung, wie „der Unterrichtsentwurf“, werden zum Hemmschuh jeder Entwicklung. Die Linearität solcher Entwürfe, die trotz veränderter Rahmenbedingungen weiterhin der Buchdruck/Gutenberg-Logik folgen, demotivieren den / die Ideenentwickler*in Beratung nach einem „vorläufig abgeschlossenen Entwicklungsstand“ anzunehmen und einzuarbeiten. Die individuelle Autorenschaft ist durch Digitalisierung endgültig in die Krise geraten. In einer Kultur der Digitalität referenzieren alle Kulturprodukte auf eine Vielzahl von Vor-Produkten. Nicht der Einzelne steht am Ende eines erfolgreichen Prozesses, sondern die kollaborativ entwickelten, durch Kommunikation und Kritik begleiteten und im Netzwerk „vorgetesteten“ Ideen.

 2. Exkurs: Agilität

 

Vor dem eigentlichen Lösungsansatz soll hier ein möglicherweise naheliegendes Missverständnis aus dem Weg geräumt werden. Das Missverständnis könnte sich in dem Sinne aufbauen, dass unterstellt wird, mit einem solchen Konzept fließe noch mehr Energie in Planung statt in agile Unterrichtsvorbereitung. In einer Veranstaltung, in der die neue Planungsalternative vorgestellt wurde, wurde die Vorstellung ausgebreitet, dass nunmehr noch mehr Arbeit auf den Planenden zukomme, weil die Texte schließlich in Word vorgeschrieben und dort auch korrigiert würden. Hier wurde jedoch lediglich ausgeblendet, dass sich Planung in einer Kultur der Digitalität verändert und eben nicht bedeutet, dass die Strukturen der Buchdruck-Gesellschaft und deren „schwarz-auf-weiß-Linearität“ fortbestehen und durch zusätzliche „digitale“, mit Krommer (vgl. Krommer, 2019) könnte man auch „palliative“ sagen, Elemente eingehüllt werden. Nein, agiles Arbeiten in digitalen Kontexten bedeutet auch einen Bruch mit der alten Kultur, die durch etwas Neues ersetzt wird.

 

Der modulare Aufbau eines solchen echten digitalen Entwurfes wird es viel leichter zulassen, zwischen obligatorischen und fakultativen Elementen zu unterscheiden. Nunmehr lassen sich ebenfalls besser minimale Lernziele oder besser Kompetenzentwicklungen und maximale, vielleicht auch differenzierende Lernziele ausweisen, die vorher eher entlang von linearen Unterrichtsschritten geplant wurden.

Ein digitaler Unterrichtsentwurf mit einer gewissen Öffnung nach außen (es muss ja nicht gleich das „ganze Internet“ oder das „Twitterlehrerzimmer“ sein) ermöglicht schon per Konzept eine eher agile Vorbereitung auf den Unterricht selbst. Hier soll dafür der Begriff des „Spielraums“ von Lempart übernommen und angepasst werden (vgl. Lempart, 2019, Kapitel 1.4 Aufbau der agilen Seminarmethoden): Jeder modular geplanter Unterricht sollte unter Bedingungen der Agilität durch Hinzufügen, durch Wegnehmen oder durch Veränderung eines oder weniger Module zu erweiterten Spielräumen des Unterrichts führen. Kleine Veränderungen im Plan eröffnen neue, große Spielräume für die Durchführung von Unterricht. In Abhängigkeit davon, ob die Ausbildenden selbst auch agile Seminarmethoden verwenden, steigen die Chancen das gute Praxis und gute offene, modulare Planungen die Spielräume in der Phase der Durchführung erweitern.

 

3.Umsetzung: Entwürfe an der digitalen Pinnwand

 

Im Juni 2020 liegen zwei Muster-Entwürfe als digitale Pinnwand, als Padlets vor (zur Erreichbarkeit siehe unten und im Literaturverzeichnis). Die Muster-Entwürfe bestehen aus einzelnen thematischen Modulen, die Anweisungen enthalten, wie der konkrete Unterrichtsentwurf umzusetzen ist. Eher obligatorische und eher fakultative Elemente sind gekennzeichnet; in Zukunft werden auf diesen beiden Padlets tatsächlich ausgeführte Unterrichtsentwürfe verlinkt.

 

Dass nunmehr zwei Padlets vorliegen, ist auch der Tatsache der Covid-19-Krise und der im März 2020 aufkommenden Anforderung geschuldet, auf Distanz zu unterrichten. Nach der raschen Entwicklung und Veröffentlichung erster Standards für das Distanzlernen, bezieht sich das zweite Padlet auf die im Impulspapier zum Distanzlernen dargelegten Prinzipien, die im Bildungsportal NRW (vgl. Klee, Krommer u. Wampfler, 2020) veröffentlicht wurden. Diese Impulse und der Entwurf sind allerdings der Tendenz nach auch mit den von Hilbert Meyer verfassten sechs didaktischen Maßstäben zum Homeschooling kompatibel (vgl. Meyer, 2020).

Abbildung 1: Der zeitgemäße Unterrichtsentwurf (Lesson Design) von Tim Kantereit

Einen weiteren Ausgangspunkt hatten die Entwurfs-Padlets in der Arbeit von Tim Kantereit, der selbst auf einem Padlet die grundlegenden Elemente für einen „zeitgemäße(n) Unterrichtsentwurf (Lesson Design)“ zusammengestellt hatte (vgl. Tim Kantereit, 2019). Über diesen Link erreicht man sein Padlet. Schaut man sich auf dem Padlet um, findet man schnell interessante Hinweise: Unter „Begründung des Themas“ steht der Impuls, dass sich die Darstellung auch vom reinen Text-Format lösen und „Video, Audio“-Elemente beinhalten könnte. Das Aufbrechen der klassischen Textform fand sich ebenfalls unter der „Visuelle(n) Darstellung des Stundenverlaufs“. Reflektiert Kantereit hier noch die Form der „Tabelle“ als „der Klassiker“, erweitert er hier aber perspektivisch die Umsetzungsmöglichkeiten in Richtung „Flow Chart“ oder auch „Sketchnote“. Deutlich wird hier, dass das Konzept adaptiv auf die schon mitgebrachten und ganz sicher individuell unterschiedlichen Kompetenzen der Referendarinnen und Referendare eingeht: Warum sollte die Informatikerin den Stundenverlauf nicht als Flow Chart, warum sollte der Künstler den Stundenverlauf nicht als Sketchnote darstellen dürfen? Hier werden neben der Öffnung der Darstellungsformen eben auch gute Praktiken der Fachwissenschaften integriert.

 

Fortsetzung folgt ...