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Alles Demokratie oder was? Teil 1: Das Problem

Das Problem - so könnte man 2019 vielleicht fragen - lautet: Wird der Rat der Experten von den Regierungen und Parlamenten hinreichend gehört, soll heißen: Wird das politisch Richtige oder auch das in diesem historischen Moment Notwendige getan? Nein, werden Teile der Experten vor allem aber große Teile der Bürger sagen, und zwar von Links, über die Mitte bis nach Rechtsaußen. Gründe der Unzufriedenheit gibt es unendlich viele, diskutieren wir sie einmal entlang des "Klimapakets" der Regierung aus dem Herbst 2019.

 

„Ich bin beispielsweise der Meinung, dass es als demokratisch anzusehen ist, wenn die Herrschenden durch das Los bestimmt werden, während Wahlen als oligarchisch betrachtet werden müssen.“ (Aristoteles)

 

Hoffentlich wird es niemals zur jener möglichen zukünftigen Welt kommen, in der unsere Nachfahren schreiben werden: "Zu Beginn des 21. Jahrhunderts versagten die politischen und wirtschaftliche Eliten auf ganzer Breite. Trotz der drohenden Klimakatastrophe kümmerten sie sich um weiteres, kohlenstoff-getriebenes Wachstum, trotz der Ankunft des autonomen Maschinenzeitalter besteuerten sie weiterhin in erster Linie die Arbeitseinkommen und trieben die Massen in eine allgemeine Armut. Diese wendeten sich schließlich enttäuscht von den demokratischen Eliten und Institutionen ab und befeuerten den abermaligen Aufstieg des Faschismus in Europa". 

 

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine gut entwickelte Demokratie, eine parlamentarische Demokratie, die von Parteien gestützt wird. Sie hat sich in den letzten 50 Jahren weiterentwickelt und zwar durchaus in dem Sinne, dass sie deliberativer geworden ist. Die durch Parteien gestützten Parlamente haben entsprechende Expertenkommissionen eingesetzt, die Politik beraten. Prominent vorangeht das Wachstums- und Stabilitätsgesetz von 1967, das die Beratung der Regierung durch Wirtschaftsinstitute festlegte. Viele weitere Kommissionen später gab es auch einen nationalen Ethikrat und zuletzt wird über die Einführung eines ländergestützten Bildungsrates, nun ja, beratschlagt. Experten sind also längst Teil der Regierungsmechanik in fortgeschrittenen Demokratien, die - betrachtet man die Staaten der Erde insgesamt - jedoch nur einen Bruchteil ausmachen. 

 

Das Problem - so könnte man 2019 vielleicht argumentieren - lautet: Wird der Rat der Experten von den Regierungen und Parlamente hinreichend gehört, soll heißen: Wird das politisch Richtige oder auch das in diesem historischen Moment Notwendige getan? Nein, werden Teile der Experten vor allem aber große Teile der Bürger sagen, und zwar von Llinks, über die Mitte bis nach Rechtsaußen. Gründe der Unzufriedenheit gibt es unendlich viele, diskutieren wir sie einmal entlang des "Klimapakets" der Regierung aus dem Herbst 2019: Die linksökologischen Neophilen wollen so schnell wie möglich in eine Postwachstumsgesellschaft oder in eine Postkarbonzeit aufbrechen (am besten beides zusammen). Sie sind unzufrieden, weil die Politik der kleinen Schritte der Bundesregierung ihrer Einschätzung nach nicht zur Rettung des Planeten ausreichen wird. Die soziale Mittelschicht ist unzufrieden, weil vielleicht schon diese kleinen Schritte ihren bescheidenen Wohlstand bedrohen (das langersehente mittelgroße Auto und die jährliche Flugreise und regemäßigen "bezahlbaren" Konsum von Fleisch). Von liberal bis rechtskonservativ sieht man v.a. den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr. Man ist schon mit den eingeleiteten Maßnahmen unzufrieden, man sieht die großen Ingenieursrepublik Deutschland in Gefahr. Rechtsaußen schließlich, dort wo sich die unheilige Allianz derjenigen trifft, die den Klimawandel leugnen bzw. die Leugnung zum politischen Konzept des parteipolitischen Aufstieg machen, ist man unzufrieden, weil das Gesetzesvorhaben vermeintlich den unmittelbaren Interessen "der kleinen Leute", die zu vertreten man glaubt, widerspreche. 

 

 

 

Akzeptiert man diese Skizze der Unzufriedenheit, kann man sich an der Analyse versuchen und dabei versuchen zu ermitteln, was das neue "Unbehagen an der Kultur / Demokratie" ausmacht. Dabei dürfte es hilfreich sein, Protagonisten und deren Wahrnehmung zu analysieren. Ich beziehe mich mal auf zwei Hauptakteure des journalistischen Bereichs, nämlich @saschalobo und @rezo und auf die #FridaysforFuture-Bewegung insgesamt, dabei insbesondere auf das in unserm Zusammenhang nicht zu verachtende Phänomen des #ScientistforFuture Akteure.

 

In der Kalenderwoche 49 erschienen zwei Kolumnen parallel, die in dem Zusammenhang besonders aussagekräftig sind: @rezo schreib von kritisierte und lobte die Parteien und @saschalobo setzte sich in    zum wiederholten Male mit der "schwarzen Null auseinander. @rezo entwickelt in seiner Kolumne die Fragen an die Republik bzw. an die Demokratie radikal aus Bürger*innen-Perspektive, die sich sodann fragen: 'Wie ändere ich diesbezüglich die Welt am effektivsten? Was kann ich tun, um zu einem Fortschritt beizutragen?'. @rezo weiß, dass die Antworten jenseits der Parteien liegen. Da heute jeder Sender geworfen ist, können 'diese engagierten Menschen ihre Zeit aber auch nutzen, um direkt Inhalte zur Aufklärung ins Netz zu stellen, in sozialen Netzwerken auf dieses Thema aufmerksam zu machen, sich in WhatsApp-Gruppen mit Gleichgesinnten zu organisieren, auf Demonstrationen zu gehen, Initiativen direkt zu unterstützen, im sozialen Umfeld zu mobilisieren [...]". @rezo schließt dabei eine Parteimitgliedschaft nicht aus und hält im Folgeteil seiner Kolumne die Existenz der Parteien für sinnvoll (Vielleicht will er ja mal Bundeskanzler werden und das geht schließlich nur über die Parteien, wie er sagt ;-)). Apropos @rezo: Wer das Interview mit @rezo auf zeitonline, also im Podcast "Alles gesagt?", noch nicht gehört hat, unbedingt nachholen / nachhören (das Podcast-Interview läuft acht und eine halbe Stunde lang!). Im Podcast wird deutlich, inwiefern @rezo als Informatiker an die "Logik" der Argumente und an die Rationalität der Politik appelliert.

 

 

Das alles erwartet einen, der oder die 8 Stunden und 40 Minuten durchhält!

 

In dem Interview wird deutlich, welches Verständnis @rezo von Politik hat: Politik ist die Durchsetzung des Rationalen, bzw. die Politik hat auf die Experten zu hören und anschließend das Notwendige durchzusetzen. Eigentlich will @rezo gar keine demokratische Verfassung. Viele Äußerungen von ihm im Interview deuten auf eine andere Form der Herrschaft hin: auf eine Technokratie ("Expertokratie"); hier herrscht endlich das Rationale, also die Logik. Und das politische Systems versteht diese Logik und exekutiert sie. Diese Position kennt man im Übrigen auch von Richard David Precht, der sich in letzter Zeit in diese Richtung äußert (siehe die Twitter-Screenshots unten). Diese Position im Kontext von "Was-tut-uns-die-Politik-der-schwarzen-Null?" alles an in dieser Woche auch @saschalobo: "[W]ir leben in Zeiten eines radikalen Wandels, vorangetrieben vor allem durch Digitalisierung, Globalisierung und die Bedrohung einer Klimakatastrophe. Langsamkeit wird dadurch zur eigenen Gefahr. So, wie es beim Davonlaufen vor einem tollwütigen Tiger nicht primär auf bedächtige, kleine Schrittchen, elegante Kleidung und ausreichende Pausen ankommt. Sondern auf Geschwindigkeit und einen gewissen Überblick, ob man in eine Sackgasse rennt". Im Podcast zur Kolumne hört man @saschalobo flehentliche Worte an Publikum und Politik, doch endlich Einsicht in das rational Notwendige zu haben. Ist die Technokratie also die unausweichliche am Horizont aufscheinende Herrschaftsform, die die Demokratie beerben wird? [Ergänzung vom 21.2.2020: Auch der allgegenwärtige Soziologe Nassehi hat dazu eine Position. Er hält die Mahnungen der Wissenschaft für wichtig, weil sie einen "Symbolwert" haben. Die Übersetzung der wissenschaftlichen Forderungen in Politik sei jedoch nicht so einfach. Das "komplexe Verhältnis zwischen Wissenschaft und Demokratie" zeige, dass die Wissenschaft weniger konkrete Aussagen mache als es die Politik gerne hätte. Da man in der Politik hauptsächlich darum bemüht sei, mit Wissen Mehrheiten zu organisieren, gehe es letztlich weniger um diese - teilweise widersprüchlichen - Wissensfragen. (vgl. Nassehi in Deutschlandfunkkultur, 20.02.20)].

 

 

Was ist zu tun?, lautet nunmehr erneut die Frage. Was ist zu tun, um eine Gesinnungsdiktatur (Precht), eine Erziehungsdiktatur, eine Tugenddiktatur (Robespierre) oder eine Ökodiktatur zu verhindern - oder läuft alles unweigerlich auf eine solche hinaus? Sicher kann man weiterfragen: Wird diese Ökodiktatur eine in der Tendenz faschistische Diktatur der Abwehr (der sozialen und ökologischen Ansprüche) oder eine grün-links-orientierte Diktatur der besseren Einsicht sein?

 

In Teil 2 des Artikel will ich daher Antworten geben. Dabei werden mich Aristoteles, Harari, Hübl und der Bundespräsident unterstützen.

 

- Fortsetzung folgt ...

 

 

 

Literatur:

 

Alles gesagt? (2019): Rezo, warum willst du Bundeskanzler sein? (8 h 40 min), Ein Podcast-Interview, zitiert nach: https://podcasts.google.com/?feed=aHR0cHM6Ly9hbGxlc2dlc2FndC5wb2RpZ2VlLmlvL2ZlZWQvbXAz&episode=ZjBjZjRiMzhjNmUzMTliZWVkOWQyNTc4MTk1ZmNmZGE&hl=de&ved=2ahUKEwiZ-OzRrqbmAhUEJVAKHctIDosQjrkEegQIARAI&ep=6&at=1575818843190 

Aristoteles: Politik, Buch 4 (1294 b), zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Demarchie

Sascha Lobo (2019: Wider die Ex-Vernuft!, zitiert nach: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/neue-spd-fuehrung-wider-die-exvernunft-a-1299607.html

Sascha Lobo (2019): Der Debatten-Podcast: Neue SPD-Führung: Wider die Ex-Vernunft, zitiert nach:https://soundcloud.com/user-728223693/neue-spd-fuhrung-wider-die-ex-vernunft

Rezo (2019): Was soll ich in einer Partei, in: die zeitonline, 3.12.19, zitiert nach: https://www.zeit.de/kultur/2019-12/demokratie-jugendliche-parteizugehoerigkeit-engagement-rezo/komplettansicht