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Welt der Bildschirme

Meinen Blog nutze ich (auch), um mich ein wenig vorzustellen und meine Geschichte der letzten 30 Jahre mit der Blogosphäre zu teilen. Mir geht es dabei niemals um solche Dinge wie "Hab' ich ja schon immer gesagt!" oder "Hab' ich nicht recht (gehabt)?!". Vielmehr will ich Vorschläge für das Zusammenbinden von verschiedenen Diskurs-Anfängen und Diskurs-Enden vorlegen. In den nächsten Blog-Beiträgen werde ich weitermachen mit meinen Anfängen in "Medienreflexionen" der 90er Jahren (vermutlich habe ich mich auch an mehreren Stellen geirrt! Schön wäre es auch, wenn man erkennen könnte, an welchen Stellen meine Quellen und ich einfach nur naiv waren und welche anderen Ideen vielleicht bis heute überdauern). Dass ich insbesondere an Bühls Cybersociety anschließe, dürfte nicht weiter überraschen.

Nach etlichen theoretischen Überlegungen drängte es mich vor etwa 20 Jahren zur Tat: Was berücksichtigen, wenn man Schülerinnen und Schüler medienkompetent aus der Schule entlassen will? (Es folgen einige Blogbeiträge aus meiner nicht veröffentlichen 2. Staatsarbeit von 1998):

 

Der folgende Text bezieht sich auf die folgenden, damals für relevant gehaltenen Publikationen:

Bühl (1996) Cybersociety;

Bremekamp (1997) Online und multimedial in die Zukunft!? Ideen und Fragen aus der Praxis außerschulischer politischer Jugendbildung;

Debord (1996) Gesellschaft des Spektakels;

Jameson (1986): Postmoderne - zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus;

Schulz-Zander (1997): Lernen in der Informationsgesellschaft;

Virilio (1989): Die Sehmaschine;

 

Die Welt der Bildschirme: Thesen zum Zeitalter der (digitalen) Bildmanipulation

 

"In unserer Kultur herrscht immer noch der Gedanke vor, dass Bildung vornehmlich über Bücher und Gedrucktes erworben wird. Das Sehen und Lesen von Bildern muss als pädagogischer Auftrag von Schule ernst genommen werden" (Schulz-Zander).

"Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, das es zum Bild wird" (Debord).

 

Die abendländische Philosophie ist geprägt von einem Misstrauen gegenüber dem Bild. Sie beginnt mit den Vorsokratikern und findet einen ersten Höhepunkt mit Platon, der im berühmten Höhlengleichnis verdeutlicht, dass die philosophische Erkenntnis darauf angelegt ist, sich von der Sinnen-Erfahrung zu emanzipieren.

Der französische Philosoph Virilio [zwischenzeitlich am 10.9.2018 verstorben] hat in La Machine de vision. Galilée, Paris 1988, ISBN 2-7186-0341-0deutsch: Die Sehmaschine (= Internationaler Merve-Diskurs. 149). Merve Verlag, Berlin 1989, ISBN 3-88396-069-1  drei Bildzeitalter benannt: das erste, in dem Malerei, Radierung und Architektur als originäre Sinnen-Erfahrung vorherrschten, nennt er Zeitalter der formalen Logik des Bildes, es ist durch den Realitätsbezug, die originäre Erfahrung bestimmt. Es wurde abgelöst durch das Zeitalter der dialektischen Logik des Bildes, in dem Fotographie, Film und Fernsehen vorherrschten, es wurde durch das Merkmal der Aktualität bestimmt. Das dritte Zeitalter, in das die Menschheit nunmehr eingetreten ist, nennt der Philosoph Zeitalter der paradoxen Logik des Bildes, in welchem Videographie, Holographie und Infographie die Wahrnehmung bestimmen; es kann auch als Zeitalter der Virtualität verstanden werden (vgl. Bühl).

 

Die Beispiele aus der wirklichen und der medialen Welt sind unterschiedlicher Qualität und mannigfaltig: Der [zweite, von Georg Bush senior geführte] Golfkrieg als sauberer Krieg der computergestützten Lenkwaffen gegen althergebrachte Waffen, Präsident Kennedy mit dem Schauspieler Tom Hanks im Film Forrest Gump, in dem der Präsident vermeintlich zum Schauspieler gerichtet sagt: 'Ich glaube, er hat gesagt, ich muss pinkeln", und schließlich die gehackten Webserver mit jetzt möglicherweise gefälschten Daten und Bildern der großen Internetanbieter, deren Angebot dergestalt nicht mehr echt, sondern gefälscht ist. Für eine "Welt, die aus nichts als Abbildern ihrer selbst besteht und versessen ist auf Pseudoereignisse und 'Spektakel' jeglicher Art [...], bietet sich Platons Begriff des 'Simulakrum‘ an: die identische Kopie von etwas, dessen Original nie existiert hat. Die Kultur des Simulakrum tritt in einer Gesellschaft ins Leben, in der der Tauschwert so weit generalisiert wurde, dass sogar die Erinnerung an Gebrauchswerte erloschen ist [...]" (Jameson). In dieser Weltgesellschaft, gefördert durch das Internet, geht zunehmend das Original verloren und wird gegebenenfalls durch die digitale Fiktion (Bühl) ersetzt. Und das bedeutet wiederum: 'Die Akteure in vernetzten Systemen und Medienwelten müssen lernen, eine Balance zu finden zwischen verschiedenen Formen der Erfahrung - den unmittelbaren und den medial aufbereiteten. Sie müssen Beziehungen und Übergänge zwischen den Medien und Realitätsebenen praktisch meistern. (Schulz-Zander).

Die Gesellschaft im Zeitalter der paradoxen Logik des Bildes ist eine Gesellschaft geworden, die sich permanent um ihre eigene echte Identität bemühen muss; diese ist ständig in Gefahr durch eine gefälschte ersetzt zu werden. Die zunehmende Phantomatisierung der Kultur erschwert schließlich dieser ihre Selbstvergewisserung als reale. Die Anstrengungen und schließlich die Kosten der Selbstvergewisserung steigen. Der noch nicht erfolgreiche Versuch, den Aufbau von Medienkompetenz jetzt in den Schulen zu verankern, ist Ausdruck der zunehmenden Anstrengungen (nicht mehr und nicht weniger).

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Bild als Form des Wissens aufgewertet wird, dass es total manipulierbar wird und dass der Betrachter dennoch umso fester an das Bild glaubt; die Glaubwürdigkeit - eine Art phantomatisch bedingte Unhinterfragbarkeit - steigt nicht obwohl, sondern weil die Manipulationsmöglichkeiten total werden. "Im Zeitalter der paradoxen Logik des Bildes besteht das Paradoxon darin, dass das Verlassen auf Bilder zunimmt, während die Manipulationsmöglichkeiten ins Unermeßliche steigen" (Bühl).

In diesem dritten Bildzeitalter, dem der paradoxen Logik des Bildes, muss im Unterricht die Gradwanderung zwischen Medienakzeptanz und kritischer Distanzierung versucht werden. Ohne Akzeptanz gibt es keine aktiv produzierende, medienkompetente Schülerinnen und Schüler. Ohne kritische Distanz zu den Medien keine Reflexionsfähigkeit der Überwältigungsmedien. Diese Überwältigungsversuche können in drei Bereiche aufgeschlüsselt werden. A. Quantität (Menge der Bilder), B. Qualität (Anordnung der Bilder) und C. Konstruktion der Bilder (Verbindung von Bild und weiterer Information). Alle Überwältigungsstrategien zusammen genommen haben den reflexionslosen Bilderkonsum zum Ziel, der als Mittel zum Zweck weiteren Konsum von Realwaren nach sich ziehen soll. Die Überwältigung / der Überwältigungsversuch ist Ausdruck einer Bilderkultur, die - bis zur negativen Utopie weitergedacht - das Denken selbst ausschalten könnte. [Ohne Selektion geht das Ich schließlich im Nirgendwo unter]. So muss schließlich selektiert werden, was und wie viel das Subjekt, das sich behaupten will, an sich heranlassen kann. So gilt es [in der Schule], "Selektionsleistungen vorzubereiten, den medial präsentierten Schein durchschauen zu helfen, der geschichtslosen Präsenz der Medien gegenüber ein 'historisches' Bewusstsein zu vermitteln (Bremekamp).

Der hier zu entwickelnde dritte Aspekt von Medienkompetenz ist der der Selektion: Selektion zwischen Information und Meinung, Selektion zwischen Wahrheit und Lüge.

 

(Und 2019?: Sascha Lobo im Spiegel, 9.1.19: "Dahinter steht neben dem Beigeschmack des victim blaming auch die bis heute bestehende Ansicht, die Teilnahme am Internet sei irgendwie optional. Das ist Verrat an einer Generation, die soziale Medien nicht nur nutzen möchte - sondern die ohne Social Media große Probleme mit Jobsuche und sozialem Umfeld haben dürfte. Risikobewusstes Handeln? Nein, Doxing, also die Veröffentlichung privater Daten zum Schaden einer Person, muss endlich als großes Gesellschaftsproblem erkannt werden").